Gefährliche Eiweißablagerungen, die mit Alzheimer in Verbindung stehen, können nicht nur wie bisher bekannt durch die direkte Injektion fehlgefalteter Proteinbruchstücke in das Gehirn ausgelöst werden, sondern auch durch eine Verabreichung außerhalb des Gehirns. Das hat jetzt eine aktuelle Studie in der Online-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Science“ gezeigt.
Forscher sind sich heute weitgehend einig, dass sowohl Alzheimer als auch die so genannte zerebrale beta-Amyloid-Angiopathie – eine Erkrankung der Blutgefäße im Gehirn – durch die Fehlfaltung und Anhäufung von Proteinbruchstücken namens beta-Amyloid oder Abeta hervorgerufen wird.
Genveränderte Mäuse
Während bei Alzheimer fehlgefaltetes Abeta vor allem in Form so genannter Amyloid-Plaques abgelagert wird, setzt sich das Abeta-Protein bei der zerebralen beta-Amyloid-Angiopathie an den Blutgefäßwänden ab.
Bereits im Jahr 2006 hatten die Tübinger Wissenschaftler um Professor Mathias Jucker vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), gezeigt, dass verdünnte Extrakte aus den Gehirnen verstorbener Alzheimerpatienten Abeta-Fehlfaltung und Abeta-Ablagerungen herbeiführen können. Hierfür hatten die Forscher kleinste Mengen dieser Extrakte direkt in die Gehirne von Mäusen gegeben, die genetisch so verändert worden waren, dass sie die menschliche Form von Abeta produzierten.
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Injektion in den Bauchraum
In ihrer aktuellen Studie belegen Jucker und Yvonne Eisele nun zusammen mit ihrem Forschungsteam und den Kollegen Matthias Staufenbiel (Novartis), Mathias Heikenwälder (Universität Zürich) und Lary Walker (Emory Universität in Atlanta) erstmals, dass Abeta-Ablagerungen in den Gehirnen genveränderter Mäuse auch durch eine Injektion mit einem Extrakt aus fehlgefaltetem Abeta außerhalb des Gehirns hervorgerufen werden können.
Dabei verabreichten die Wissenschaftler den transgenen Mäusen das Extrakt aus fehlgefaltetem Abeta in den Bauchraum. Die induzierten Abeta-Ablagerungen zeigten sich vorrangig in den zerebralen Blutgefäßen, konnten jedoch auch in Form von Amyloid-Plaques zwischen den Nervenzellen nachgewiesen werden. Dabei dauerte die Amyloidinduktion den Wissenschaftlern zufolge nach den peripheren Injektionen deutlich länger als nach der direkten Verabreichung in das Gehirn.
In beiden Fällen riefen die induzierten Amyloidablagerungen weitere krankhafte Veränderungen hervor, wie sie typischerweise in den Gehirnen von Patienten zu finden sind, die unter der Alzheimererkrankung oder der zerebralen beta-Amyloid-Angiopathie leiden.
Bald neue Behandlungsstrategien?
„Die Erkenntnis, dass es Mechanismen gibt, die den Transport von Abeta-Aggregaten von der Körperperipherie ins Gehirn zulassen, wirft die Frage auf, ob es in der Körperperipherie oder Umwelt natürliche Substanzen gibt, die Amyloidablagerungen und Neurodegeneration im Gehirn auslösen können,“ so Jucker.
Die aktuellen Erkenntnisse geben nach Angaben der Wissenschaftler neue Hinweise auf Mechanismen, die Alzheimer zugrunde liegen. Die weiterführende Forschung wird wahrscheinlich zur Entwicklung neuer Strategien in der Vorbeugung und Behandlung führen.
Alzheimer und BSE ähneln sich mehr als gedacht
Das molekulare Prinzip der induzierten Proteinablagerungen bei der Alzheimererkrankung und der beta-Amyloid Angiopathie weist nach Angaben der Mediziner darüberhinaus Ähnlichkeiten zu dem der Prionenerkrankungen auf. Letztere, zu denen auch BSE zählt, kann nicht nur dadurch hervorgerufen werden, dass den Tieren Prionen direkt ins Gehirn gegeben werden, sondern auch durch die Injektion der Prionen in die Körperperipherie.
Die neue Studie zeigt, dass dies nicht nur eine Besonderheit der Prionenerkrankungen ist, wie bisher angenommen. Trotz der Gemeinsamkeiten zwischen Alzheimer und der Prionenerkrankung gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass Alzheimer oder die zerebrale Amyloid-Angiopathie auf natürlichem Wege in gleicher Weise übertragen werden können wie die Prionenerkrankung.
(idw – Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH), 22.10.2010 – DLO)