Die ersten Bauern Mitteldeutschlands waren Einwanderer: Sie stammten aus dem Vorderen Orient. Das belegen Vergleiche jungsteinzeitlichen DNA aus Gräbern in Sachsen mit dem Genom der heute im Nahen Osten lebenden Bevölkerung. Die jetzt in „PLoS Biology“ veröffentlichte molekulargenetische Studie liefert damit auch weitere Indizien dafür, dass sich der Ackerbau nicht durch bloße Weitergage von Ideen, sondern durch Einwanderung der Bauern in Europa ausbreitete.
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Kein Epochenwechsel hat die Geschichte der Menschheit ähnlich fundamental beeinflusst wie die so genannte Neolithische Revolution, der Übergang von der Jäger-und-Sammler-Gesellschaft zu sesshaften Bauern. Er vollzog sich vor etwa 11.000 Jahren im Vorderen Orient und erreichte vor etwa 7.500 Jahren mit der bedeutendsten neolithischen Kultur, der Linienbandkeramik,
Mitteleuropa. Wie sich die bäuerliche Lebensweise verbreitete, ob durch bloße Weitergabe der Ideen oder aber durch Einwanderung fremder Bevölkerungsgruppen nach Mitteleuropa, war lange Zeit umstritten.
Genetische Indizien für Einwanderung
Inzwischen allerdings scheint klar, dass die urzeitlichen Bauern ihre Fertigkeiten selbst mit nach Mitteleuropa brachten, sie wanderten nach Norden ein. Spuren ihrer Ausbreitung finden sich in Form spezieller DNA- Marker im Genpool der heutigen Mitteleuropäer. Als „neolithic package“ importierten die Immigranten offenbar nicht nur neue Tier- und Pflanzenarten wie zum Beispiel Hausrind oder Einkorn, sie vermischte sich auch mit der hiesigen Bevölkerung.
Wissenschaftler des Instituts für Anthropologie der Johannes Gutenberg- Universität Mainz, des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt und des Centre for Ancient DNA der Universität von Adelaide haben jetzt mit weiteren Partnern die Struktur und Dynamik der populationsgenetischen Prozesse in der Jungsteinzeit speziell in Mitteldeutschland untersucht. Dazu werteten die Forscher Proben alter DNA aus einer Bestattungsgemeinschaft der frühneolithischen Fundstelle Derenburg- Meeresstieg II im Mittelelbe-Saale-Gebiet aus.
Einwanderungsroute über die Karpaten
Ein herausragendes Ergebnis der Studie: Die molekulargenetischen Daten zeigen, dass die frühen neolithischen Siedler aus Derenburg große Ähnlichkeit mit heute lebenden Populationen im Nahen Osten aufwiesen. Das belegt erneut, dass zumindest in diesem Fall die ersten Bauern eindeutig selbst nach Mitteleuropa eingewandert sind und nicht die vorher hier ansässigen Jäger- und Sammlerpopulationen lediglich eine bäuerliche Lebensweise übernommen haben. Die genetischen Signaturen erhärten auch Hinweise auf den Verlauf der Einwanderungsroute über Südosteuropa und das Karpatenbecken bis nach Mitteleuropa.
Nach Ansicht der Forscher ließe sich auch die emotional geführte Diskussion um Integration in Deutschland entschärfen, wenn der Politik Instrumente zur Hand gegeben werden, die die gemeinsamen Wurzeln von Einheimischen und Migranten deutlich machen. Immerhin verdankt auch die größte ökonomische Umwälzung in der Menschheitsgeschichte – die Neolithische Revolution – einer Einwanderung nach Mitteleuropa hinein ihre Ausbreitung.
(Universität Mainz, 10.11.2010 – NPO)
10. November 2010