Wissenschaftler haben ein Molekül entdeckt, das die innere Uhr auf dramatische Weise umstellen kann: Bis zu zehn Stunden verlangsamte das „Longdaysin“ die biologischen Zeitgeber bei Zebrafischlarven, berichten die Forscher in „PLoS Biology“. Das mittels moderner Screening Techniken aus mehr als 120.000 Kandidaten herausgefischte Molekül eröffnet neue Möglichkeiten für die Suche nach Wirkstoffen, mit denen sich Schlafstörungen oder auch Jetlag behandeln lassen.
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Eine innere Uhr regelt unsere Temperatur, macht uns wach oder müde und beeinflusst unseren Hormonhaushalt. In allen lebenden Wesen sorgt dieser biologische Zeitmesser dafür, dass die vielen Abläufe im Körper mit sich und der Umwelt synchron laufen. Wird sie durch Schichtarbeit oder einen Jetlag verstellt, dauert es Tage, manchmal sogar Wochen, bis sich unsere innere Uhr die neuen Schlaf-Wach-Wechsel zu eigen gemacht hat und alle biologischen Rhythmen wieder einigermaßen synchron schwingen.
Screening von 120.000 Kandidaten-Molekülen
Jetzt hat ein amerikanisches Forscherteam unter Beteiligung der Universität von Kalifornien in San Diego und des Genomics Institute der Novartis Research Foundation erstmals einen Wirkstoff entdeckt, der die biologische Uhr gleich um mehrere Stunden auf einmal verstellen kann. Die Wissenschaftler unter Leitung von Tsuyoshi Hirota nutzten für ihre Studie die automatisierten Screening Methoden der modernen Pharmaforschung, um 120.000 Kandidatenmoleküle auf ihre Wirksamkeit hin zu testen. Testobjekt waren dabei menschliche Knochenmarkszellen, an deren Uhrengen das Leuchtgen eines Glühwürmchens angehängt war. Wurde das Uhrengen aktiviert, begann auch das Luziferase-Gen zu leuchten und markierte so wirksame Substanzen.
„Longdaysin“ stellt Uhr zurück
Eine dieser Substanzen stellte sich als besonders wirkungsvoll heraus. In anschießenden Versuchen an Zebrafischlarven konnten die Forscher belegen, dass das „Longdaysin“ getaufte Molekül die innere Uhr offenbar drastisch zurückstellt und damit verlangsamt. Um mehr als zehn Stunden verschoben sich die biologischen Taktgeber der Fische nach Gabe von Longdaysin.
Aber wie funktionierte es? Nachdem die Forscher das Longdaysin isoliert hatten, wendeten sie sich an Biochemiker des Scripps Research Institute um Peter Schultz, um nun auch die biologischen Eigenschaften des Moleküls identifizieren zu können. Ziel war es vor allem herauszufinden, wie genau das Longdaysin die innere Uhr verlangsamt.
Die Analyse ergab, dass die Wirkung des Moleküls auf drei verschiedenen Proteinkinasen beruht. Diese Enzyme spielen eine wichtige Rolle bei der Aktivierung und Deaktivierung von Proteinen und Transkriptionsfaktoren. Eine dieser Proteinkinasen, CK1alpha, war zwar bereits zuvor gekannt, aber bisher von Chronobiologen irrtümlicherweise als „nicht wichtig“ ignoriert worden.
Neuer Ansatz für chronobiologische Wirkstoffe
Als nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler die Wirkung von Longdaysin nun auch an Mäusen testen. Sollte es auch bei diesen Säugetieren funktionieren, könnten sich damit neue Möglichkeiten für die Entwicklung von Wirkstoffen zur Beeinflussung der inneren Uhr auch beim Menschen eröffnen. Die Forscher betonen allerdings, dass dabei das Longdaysin kein direkter Kandidat ist: „Longdaysin ist noch nicht so stark, wie wir es gerne hätten. Es wird daher primär ein Werkzeug für die Forschung bleiben“, so Steve Kay, Biologe der Universität von Kalifornien in San Diego und Leiter des dortigen Forschungsteams.
„Theoretisch könnte Longdaysin oder eine ähnliche Verbindung eingesetzt werden, um erbliche Schlafstörungen wie das so genannte familiäre Schlafsyndrom zu korrigieren, das durch eine zu schnell laufende innere Uhr charakterisiert ist“, so der Forscher weiter. „Eine Verbindung, die die innere Uhr langsamer oder schneller gehen lässt, könnte auch dafür eingesetzt werden, um die Uhr umzustellen. Das würde dem Körper beispielsweise helfen, einen Jetlag auszugleichen oder aber, nach Nachtarbeit wieder auf normale Tag-Nacht-Zyklen umzustellen.“
(Public Library of Science, 16.12.2010 – NPO)