Paläontologie

„Missing-Link” der Ohr-Evolution entdeckt

125 Millionen Jahre altes Säugetierfossil zeigt erstmals Übergangsstadium zum modernen Mittelohr

Schädel des Liaoconodon hui von unten, so dass der Bereich der Ohrknochen und des ringförmigen Trommelfell-Lochs zu sehen ist. © Meng, et al 2011 (Nature)

Paläontologen haben in China ein 125 Millionen Jahre altes Fossil entdeckt, das sich als ein lange gesuchtes Bindeglied der Ohrentwicklung entpuppt hat. Das 125 Millionen Jahre alte Skelett eines frühen Säugetiers besitzt bereits vom Kiefer getrennte Gehörknöchelchen, die aber noch durch eine verknöcherte Knorpelspange gestützt werden. Wie die Forscher jetzt in „Nature“ berichten, haben sich die Ohr-Übergangsformen innerhalb der Säugetiere mehrfach unabhängig zum modernen Mittelohr entwickelt.

Neben ihrer Fortpflanzung haben die Säugetiere auch ihren Ohraufbau gemeinsam: Sie alle besitzen ein Mittelohr mit drei Ohrknöchelchen, Hammer, Amboss und Steigbügel. Bei Ungeborenen ist zudem zu erkennen, dass ursprünglich ein vierter Knochen, der ringförmige Anulus tympanicus, das Gerüst für das Trommelfell bildete. Er verschmilzt später mit dem Schädel. Bei Nicht-Säugetieren wie Reptilien besteht das Mittelohr dagegen nur aus dem Steigbügel, auch Stapes genannt, die anderen Knöchelchen sind noch Teil des Kiefergelenks und Unterkiefers. Erst im Laufe der Evolution lösten sie sich aus ihrer Position und machten einen Funktionswandel von der Kauhilfe zur Hörhilfe durch.

Wie und wann genau dieser Übergang aber stattfand, war bisher nur in Teilen bekannt. Denn die Fossilien von frühen Säugetieren zeigten zwar die Anfänge von Übergangsstadien, das entscheidende „Missing Link“ fehlte aber. Dieses fehlende Glied in der Evolutionskette hat jetzt ein amerikanisch-chinesisches Forscherteam in der Provinz Liaoning im Nordosten Chinas entdeckt.

Säugetierfossil mit vollständigen Gehörknöchelchen

In dieser für ihre reichen Fossilfunde bekannten Region stießen die Paläontologen auf das gut erhaltene, nahezu vollständige Skelett eines mittelgroßen, bisher unbekannten Säugetiers. Liaoconodon hui, so der Name der neuen Art, war rund 35,7 Zentimeter lang und lebte vor rund 122 bis 125 Millionen Jahren. Noch viel wichtiger aber: Im Schädel sind nicht nur die großen Kieferknochen, sondern auch die feinen Knöchelchen und verknöcherten Knorpel des Kiefergelenks und der Gehörknöchelchen erhalten geblieben.

Vollständiges Skelett von Liaoconodon hui, einem 125 Millionen Jhre alten frühen Säugetier © Meng, et al 2011 ( Nature)

„Nach diesem Fossil haben Forscher 150 Jahre lang gesucht, seit sie eine rätselhafte Kerbe im Unterkiefer einiger früher Säugetiere bemerkten“, erklärt Jin Meng vom American Museum of Natural History in New York. „Jetzt haben wir Knorpel mit anhängenden Ohrknöchelchen gefunden, den ersten klaren paläontologischen Beweis, der die Beziehung von Unterkiefer und Mittelohr zeigt. Immer habe ich davon geträumt, jetzt haben wir diese einzigartige Entdeckung gemacht. “

Knorpelspange als Stabilisator für Übergangsohr

Die Präparation des Schädels erlaubte es den Wissenschaftlern zu sehen, dass bei dieser frühen Säugerart Hammer und Amboss bereits vom Unterkiefer abgelöst waren, um einen Teil des Mittelohres zu bilden. Eine verknöcherte, in einer Kerbe des Unterkiefers ansetzende Knorpelspange, der so genannte Meckelsche Knorpel, verbindet die Knöchelchen aber noch mit dem Unterkiefer. Diese Verbindung hielt sich damit offenbar länger in der Evolution als teilweise angenommen, bei späteren Säugetieren ist sie nicht mehr vorhanden.

Lage der verknöcherten Knorpelspange bei Liaoconodon hui © Meng, et al 2011 ( Nature)

Die gut konservierte Struktur gibt zudem einen Hinweis darauf, dass und welche Funktion sie in der Übergangsphase zum modernen Säugerohr innehatte. Denn das Vorderende der Knorpelspange sitzt in einer Kerbe des Unterkiefers auf, das Hinterende klemmt den Anulus tympanicus zwischen sich und dem Hammer ein und stabilisiert damit die Trommelfell-tragenden Knochen. „Vorher kannten wir die detaillierte Morphologie der Ablösung der Mittelohrknochen nicht und auch nicht die Funktion des verknöcherten Knorpels“, erklärt Meng. „Liaoconodon hui verändert vorherigen Interpretationen, denn jetzt können wir annahmen, dass der verknöcherte Knorpel als Stabilisator wirkte.”

Modernes Mittelohr mehrfach unabhängig entstanden

Und noch etwas verraten das neue Fossil und die von den Paläontologen durchgeführten stammesgeschichtlichen Vergleiche über die Ohrentwicklung der Säugetiere: Die Tendenz hin zu einem vom Kiefer getrennten Mittelohr mit Gehörknöchelchen und damit die Ausbildung unterschiedlicher Übergangsformen ist eine ureigene „Erfindung“ der Säugetiere.

Die Ausbildung des modernen Mittelohrs mit drei Gehörknöchelchen jedoch ist im Säugerstammbaum vermutlich drei Mal unabhängig voneinander entstanden: Einmal bei den Vorfahren der heutigen Beutel- und Plazentatiere, einmal bei der ausgestorbenen Gruppe der nagetierähnlichen Mutlituberkulaten und einmal in der Linie der Monotremen, der Kloakentiere. (Nature, 2011; doi:10.1038/nature09921)

(American Museum of Natural History, 14.04.2011 – NPO)

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