50 Prozent der weltweit benötigten Nahrungsenergie für den Menschen werden von nur drei Pflanzenarten – Mais, Reis und Weizen – gedeckt. Und diese beschränken sich meist auf wenige Hochleistungssorten. Ein enormes Risiko, denn Krankheiten können auf einen Schlag die Ernte ganzer Kontinente vernichten. Als Absicherung setzen Biodiversitätsforscher deshalb auf Zweigleisigkeit: Saatgutbanken einerseits und die Erhaltung der natürlichen Lebensräume der Wildverwandten unserer Nutzpflanzen andererseits. Beim Kaffee wurde damit nun bereits begonnen.
Franz Gatzweiler arbeitet am Zentrum für Entwicklungsforschung ZEF in Bonn und schlürft seine zweite Tasse Kaffee. Damit tut er nichts anderes als ein Großteil der deutschen Bevölkerung. Doch im Gegensatz zu dieser weiß er, so selbstverständlich, wie es scheint, ist das nicht. Denn weltweit basiert der Kaffeeanbau auf wenigen Sorten, die alle ähnlich anfällig für Schädlinge und Krankheiten sind. Diese genetische Verarmung kann verheerende Auswirkungen haben. Vor rund 150 Jahren vernichtete in Sri Lanka eine Pilzkrankheit, die Kaffeebleiche, den gesamten Anbau. Die Holländer, die damals den Kaffeeanbau dort, mit mitgebrachten Kaffeepflanzen aus Äthiopien im großen Stile betrieben, mussten auf Tee umstellen, da es keine resistenten Pflanzen gab.
Wildformen von Nutzpflanzen als Reservoir für Resistenzgene
Nun ist Kaffee keine Lebensnotwendigkeit. Dramatischer wird es, wenn echte Nahrungsgrundlagen betroffen sind. So führte zum Beispiel die mangelnde genetische Diversität der angebauten Maissorten in den USA dazu, dass 1970 eine Pilzkrankheit stellenweise bis zu 50 Prozent der Ernte und damit über einer Milliarde US-Dollar vernichtete. Wenige Jahre später vernichtete ein Virus die gesamte Reisernte von Indien bis Südostasien. Daraufhin suchte man händeringend nach resistenten Wildsorten. Unter den 30.000 untersuchten Sorten fand sich nur eine Wildreissorte, die die dringend benötigte Resistenz enthielt.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass alte und wichtige Kulturpflanzen, wie Mais, Reis oder Weizen, weltweit jeweils bis zu 50.000 Sorten und mehr aufweisen. Gleichzeitig wird geschätzt, dass in den letzten 100 Jahren 75 Prozent der weltweit angebauten Pflanzensorten unwiederbringlich verloren gegangen sind. Zum einen da die Pflanzen einfach nicht weiter genutzt wurden, zum anderen weil ihre natürlichen Lebensräume schwinden. Genau hier setzt Gatzweiler an.
Pilotprojekt mit Kaffee in Äthiopien
Im Projekt CoCE (COnservation and use of wild populations of Coffea arabica in the montane rainforests of Ethiopia) hat der Agrarökonom zusammen mit Forschern aus Äthiopien und anderen Ländern Konzepte entwickelt, wie man zusammen mit der lokalen Bevölkerung die Ursprungsgebiete des Wildkaffees erhalten kann. Unter den natürlichen Bedingungen des äthiopischen Hochland-Regenwaldes konnten sich viele verschiedene Genvarianten entwickeln. Sie haben sich etwa an Wasserarmut oder bestimmte Krankheiten angepasst und sind deshalb ideal für die Züchtung neuer, widerstandsfähiger Kaffeesorten.
„Die Erhaltung dieser genetischen Ressourcen ist volkswirtschaftlich von enorm wichtig.“ sagt Gatzweiler. In einer Studie hat er den Wert der wilden Kaffeeressource aus Äthiopien, dem Ursprungsland des Arabica-Kaffees, auf eine Milliarde Euro geschätzt. Ein Menge Holz also. Deshalb soll der Kaffee an zwei Fronten gesichert werden. Zum einen in Saatgutbanken wie im Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, wo derzeit rund 2.700 Pflanzenarten tiefgefroren lagern. Doch diese Methode hat ihre Nachteile, denn dabei werden die Pflanzen ihren natürlichen genetischen Anpassungsprozessen entzogen, was bei einer späteren Nutzung eine geringere Fitness mit sich bringen könnte.
Schutzgebiete für ursprüngliche Biotope der Wildformen
Das zweite Standbein ist die so genannte in-situ Erhaltung. Dabei soll die Pflanze in ihrem Lebensraum erhalten werden, was bedeutet, dass auch der Lebensraum selbst geschützt werden muss. Dies kommt vielen anderen Arten zugute, die sonst nicht geschützt würden. Der äthiopische Wildkaffee wächst in einem der artenreichsten Waldgebiete der Erde. Die Forscher haben es geschafft, dass zwei Biosphärenreservate eingerichtet wurden, die die Grundlage für den Schutz stellen.
Wildkaffee ist nicht gleich Wildkaffee
Doch das funktioniert nur, wenn die Bevölkerung mitzieht und vom Schutzkonzept profitiert. Das beinhaltet eine nachhaltige Nutzung des Wildkaffees. Dieser ist unter Gourmets sehr beliebt und etwa dreimal so teuer wie Standardsorten. Koffein, Säuren und andere Aromastoffe unterscheiden sich deutlich. Das Problem ist, dass der Ertrag der Kaffeebäume im intakten Waldökosystem lange nicht so hoch ist, als wenn der Unterwuchs entfernt wird und damit auch die Artenvielfalt.
Einige Kaffeehersteller unterscheiden deshalb zwischen Waldkaffee, der aus teilgerodeten Gebieten stammt, und echtem Wildkaffee, der dementsprechend teuerer sein muss. Dass nun zwei Schutzgebiete eingerichtet wurden, zeigt, dass die in-situ Erhaltung von Wildverwandten unserer Kulturpflanzen ein guter Ansatz für die Unterschutzstellung weiterer hochdiverser Regionen der Erde sein kann.
(Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung, 27.04.2011 – NPO)