Teilchenbeschleuniger- Experimente haben Indizien für die Existenz eines bisher unbekannten, exotischen Teilchens geliefert – einen Komplex aus gleich sechs Quarks. Ein solches „hadronisches Molekül“ oder „Multiquark“-Teilchen ist zwar nach dem Standardmodell der Teilchenphysik theoretisch denkbar, aber noch nie nachgewiesen worden. Bestätigt sich dessen Existenz, könnte es auch den bisher rätselhaften so genannten „ABC-Effekt“ bei der Kernfusion erklären, berichtet das internationale Forscherteam jetzt in „Physical Review Letters“.
Bisher konnten Physiker nur zwei verschiedene Klassen von Kernbausteinen – genauer: Hadronen – beobachten: Mesonen und Baryonen. Mesonen sind flüchtige Teilchen, die sich aus zwei elementaren Bausteinen – einem Quark und einem Antiquark – zusammensetzen. Baryonen bestehen aus drei Quarks. Zu ihnen zählen unter anderem die Protonen und Neutronen, aus denen die Atomkerne aufgebaut sind. Viele Physiker gehen aber davon aus, dass zusätzlich noch weitere, komplexer aufgebaute Teilchen existieren: die „exotischen Hadronen“. Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik erlaubt neben den bekannten Baryonen und Mesonen noch verschiedene andere Arten von Hadronen, die beispielsweise als „Hybride“, „Glueballs“ oder „Multiquarks“ bezeichnet werden.
Kollision von Protonen und Neutronen
Bis jetzt ließ sich die Existenz solcher exotischer Hadronen allerdings nie eindeutig nachweisen. Neue Messungen am Jülicher COSY-Beschleuniger geben Hinweise auf ein neues komplexes Teilchen, dass diese Lücke schließen könnte. In den Experimenten am Teilchenbeschleuniger untersuchten die Wissenschaftler die Kollision von Protonen und Neutronen, bei der die beiden Teilchen zu einem Deuteron verschmolzen und zusätzlich zwei neutrale Pi-Mesonen – kurz: Pionen – entstanden. Mit dem besonders gleichmäßigen, durch mehrere Korrekturverfahren „gekühlten“ Protonenstrahl am COSY (COoler SYnchrotron) ließ sich die Impulsverteilung jedes einzelnen Zusammenstoßes sehr genau bestimmen.
„Hadronisches Molekül“ aus sechs Quarks?
Die Experimente weisen auf eine neue Struktur hin, die insgesamt sechs Quarks umfasst. Die beobachtete Struktur ist extrem kurzlebig und ließ sich nur indirekt über ihre Zerfallsprodukte nachweisen. Der schnell vergängliche Zwischenzustand – Fachbegriff: Resonanz – existiert nur für die Dauer einer Hunderttrilliardstel (10^-23) Sekunde. Diese Zeitspanne ist so kurz, dass Licht darin gerade einmal einen kleinen Atomkern durchlaufen könnte.
Bei der Struktur könnte es sich um ein exotisches, kompaktes Teilchen handeln oder auch um ein „hadronisches Molekül“, das – ähnlich wie ein gewohntes Molekül, nur in kleineren Dimensionen – aus mehreren kleinen Kernbausteinen aufgebaut ist, vielleicht sogar ganz ähnlich wie ein Atomkern. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, müsste dem Particle Data Booklet, der „Bibel der Experimentalteilchenphysiker“, ein neuer Eintrag hinzugefügt werden.
Neues Teilchen könnte ABC-Effekt erklären
„Die neuartige Resonanzstruktur, die wir beobachtet haben, lässt den ABC-Effekt in einem völlig neuen Licht erscheinen“, berichtet der Sprecher der Arbeitsgruppe, Professor Heinz Clement von der Universität Tübingen. Die Physiker Alexander Abashian, Norman E. Booth und Kenneth M. Crowe hatten 1960 erstmals das mysteriöse Phänomen beschrieben. Es bezeichnet eine unerklärliche Abweichung bei Fusionsexperimenten mit leichten Atomkernen – das Auftreten unerwartet vieler neutraler Pi-Meson-Paare mit kleiner Energie. Seitdem suchen Forscher nach der Ursache für den ABC-Effekt, und der neuartige Zustand wäre wegen seiner Zerfallseigenschaften ein passender Kandidat.
Weitere Nachweisexperimente in Planung
Zum weiteren Nachweis der exotischen Resonanz ist bereits eine Fortsetzung der Experimente geplant. Bisher zeigte sich diese Struktur nur in Kollisionen, bei denen Protonen und Neutronen miteinander zu Deuteron fusionieren. Mit einem verbesserten Versuchsaufbau wollen die Wissenschaftler im kommenden Jahr testen, ob sich die exotische Resonanz wie erwartet auch bei elastischen Stößen ohne anschließende Fusionsreaktion und Pion-Produktion nachweisen lässt. Die Auswertung wird allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die ersten Ergebnisse liegen voraussichtlich 2013 vor. (Physical Review Letters, 2011; DOI: 10.1103/PhysRevLett.106.242302)
(Forschungszentrum Jülich, 21.06.2011 – NPO)