In der bisher größten genetischen Studie zu Multipler Sklerose haben Wissenschaftler 29 neue genetische Varianten identifiziert, die mit der Krankheit assoziiert sind. Viele dieser Gene kontrollieren Funktionen des Immunsystems. Das bestätige, dass dieses entscheidend sei in der Entwicklung der Krankheit, berichten die Forscher im Fachmagazin „Nature“. Die Ergebnisse helfen nun zu verstehen, wie genau der Immunangriff auf Gehirn und Rückenmark aussieht.
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Multiple Sklerose ist eine der häufigsten Erkrankungen des Nervensystems bei jungen Erwachsenen – in Deutschland sind derzeit mehr als 120.000 Menschen betroffen. Bei der Erkrankung wird die schützende Hülle (Myelinschicht) geschädigt, mit der die Nervenfasern im Gehirn und im Rückenmark ummantelt sind, sodass Erregungssignale nicht mehr weitergeleitet werden. Ebenso werden die Nervenfasern selbst geschädigt. Je nachdem welche Bereiche des Nervensystems angegriffen werden, sind die Folgen unter anderen Gehbehinderungen, Taubheitsempfindungen oder Sehstörungen.
Bisher größte Studie zu genetischer Basis der MS
Im Rahmen der Studie untersuchte das internationale Forscherteam die Erbsubstanz von 9.772 Personen mit MS und von 17.376 gesunden Kontrollpersonen. Die Wissenschaftler konnten dabei 23 bereits bekannte genetische Assoziationen bestätigen. Gleichzeitig entdeckten sie 29 neue genetische Varianten, die mit der Entstehung von Multipler Sklerose zusammenhängen.
„Nur die große Zahl an MS-Patienten – 1.000 haben wir allein in München untersucht und in die Studie eingebracht – hat es möglich gemacht, so detaillierte Einblicke in die Genetik der MS zu gewinnen“, erklärt Bernhard Hemmer, Leiter der Forschungsgruppe an der Technischen Universität München. „Durch die Ergebnisse dieser Studie erhalten wir wichtige Hinweise, welche Immunmechanismen und Moleküle für die Entstehung der MS von Relevanz sind. Dies ist somit auch ein wichtiger Schritt für die Entwicklung neuer Therapien, auch wenn es noch ein weiter Weg sein mag, bis wir MS vielleicht einmal heilen können.“
Gene unter anderem für T-Zellen zuständig
Viele dieser Gene spielen eine grundlegende Rolle bei der Arbeit des Immunsystems: Sie sind besonders für die Funktion bestimmter Immunzellen, den so genannten T-Zellen, und die Aktivierung bestimmter Botenstoffe, der Interleukine wichtig. T-Zellen sind eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen: Sie sind verantwortlich für die Vermittlung einer Immunantwort gegen körperfremde Substanzen, spielen aber auch bei Autoimmunerkrankungen eine Rolle. So ist ein Drittel der neu identifizierten Gene an den Autoimmunerkrankungen Morbus Crohn oder Typ 1 Diabetes beteiligt. Dies könnte bedeuten, dass in verschiedenen Autoimmunerkrankungen die gleichen grundlegenden Mechanismen ablaufen, so die Forscher.
Darüber hinaus hatten frühere Studien einen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und einem erhöhten MS-Risiko nahegelegt. Neben den zahlreichen identifizierten Genen, die eine direkte Rolle im Immunsystem spielen, konnten die Forscher auch zwei Gene ausmachen, die in den Vitamin-D-Stoffwechsel involviert sind. Dies wäre eine mögliche Verbindung zwischen genetischen und umweltbedingten Risikofaktoren der Multiplen Sklerose.
An der Studie beteiligten sich mehr als 250 Wissenschaftler in 23 Forschergruppen aus 15 Ländern, die im „International Multiple Sclerosis Genetics Consortium“ unter der Leitung von Alastair Compston, Universität Cambridge, und im „Wellcome Trust Case Control Consortium“ unter der Leitung von Peter Donnelly, Universität Oxford, zusammengeschlossen sind.
(Technische Universität München, 11.08.2011 – NPO)