Nanostrukturen wie Asbestfasern und Nanoröhrchen führen zu Gesundheitsschäden, weil sie die Zellen von Lunge und anderen Organen täuschen: Wegen ihrer abgerundeten Enden können Zellen offenbar nicht erkennen, wie lang diese Strukturen sind. Sie versuchen daher vergeblich, sie in sich aufzunehmen. „Das ist so, als wenn wir einen Lutscher schlucken wollten, der länger ist als wir selbst: Er würde feststecken“, sagt Studienleiter Huajian Gao von der Brown University in Providence. Im Gegensatz zu Asbest kommen Nanoröhrchen zurzeit noch kaum in der Umwelt vor, da Betonbaustoffe, Kunststoffe und andere Materialien mit Nanoröhrchenanteil bereits entwickelt werden, könnte sich das aber bald ändern.
Nanostrukturen wie Asbestfasern oder Kohlenstoff-Nanoröhrchen können zwar mehre Millimeter lang sein, sie erreichen aber nur eine Dicke zwischen zehn und 100 Nanometer. Damit sind sie rund zehntausendfach dünner als ein menschliches Haar. Solche Nanomaterialien gelten wegen ihrer geringen Größe als potenzielles Gesundheitsrisiko, weil sie beispielsweise tief in die Lunge eindringen können. Bereits aus in früheren Studien ist bekannt, dass Asbestfasern Zellen zerstören können und dabei teilweise wie Speere in den toten Zellkörpern sitzen. Ähnliches habe man bei Asbest-ähnlich geformten Nanoröhrchen beobachtet, berichten die Wissenschaftler. Erst jetzt könne man aber erklären, wie es zu diesem zerstörerischen Prozess komme.
Rundes Ende täuscht Zelle
Der Grund für die Fehleinschätzung der Nanostrukturen durch die Zellen liege im Aufnahmeprozess, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature Nanotechnology“. In Versuchen habe sich gezeigt, dass die Zelle die Röhrchen immer mit einem der Enden voran verschlucke. Dadurch verwechsele sie das Nanoröhrchen offenbar mit deutlich kleineren, gut verdaubaren Teilchen. Hat der Aufnahmeprozess eines Nanoröhrchens in die Zelle jedoch einmal begonnen, ist er unumkehrbar, wie die Forscher berichten. Die Zelle könne sich nicht mehr von dem feststeckenden Röhrchen befreien. „Sie löst dann eine Immunreaktion aus, die Entzündungen hervorruft“, sagt Gao. Solche Entzündungen führten dann zu DNA-Schäden, zum Zelltod oder zu Krebs.
Nach Ansicht der Wissenschaftler könnten die neuen Erkenntnisse dazu beitragen, gesundheitliche Risiken durch Nanofasern zu verringern. „Wenn das runde Ende des Kohlenstoff-Nanoröhrchens abgeschnitten wird, bleibt das Röhrchen auf der Zellmembran liegen und wird nicht aufgenommen“, berichtet Xinghua Shi von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Beijing, der Erstautor der Studie. Möglicherweise könne man zukünftig Nanopartikel herstellen, die solche irreführenden Strukturen nicht enthielten und so die Zellschäden vermeiden.
Experimente mit Leber- und Lungenzellen
Für ihre Studie hatten die Forscher Versuche mit Kulturen von Leber- und Brusthöhlenzellen durchgeführt, denen Kohlenstoff-Nanoröhrchen oder Nanodrähte aus Gold zugesetzt wurden. Die verschiedenen Stadien des Aufnahmeprozesses vollzogen die Wissenschaftler zusätzlich in einem Modell nach. Dabei habe sich gezeigt, dass die Röhrchen immer im 90-Grad-Winkel ins Zellinnere aufgenommen wurden, berichten die Wissenschaftler. Flacher ankommende Nanoröhrchen seien von der Zelle gedreht worden. „Diese vertikale Geometrie bietet der Zelle keine Möglichkeit, die gesamte Länge des Materials zu erfassen oder vorherzusehen“, konstatieren Gao und seine Kollegen.
Verantwortlich für die Neuorientierung seien spezielle Proteine auf der Zelloberfläche, sagen die Wissenschaftler. Diese Rezeptoren verbinden sich mit der Röhrchenspitze und bewirken ihre Umhüllung durch die Zellmembran. Anschließend beginne der Prozess der Aufnahme ins Zellinnere.
(Nature Naotechnology, 2011; DOI: 10.1038/NNANO.2011.15)
(Nature, 19.09.2011 – NPO)