Die fleischfressende Kannenpflanze ist das Vorbild für ein neues Material, das fast alles spurlos an sich abgleiten lässt. Es besteht aus einer porösen, mit einer Flüssigkeit überzogenen Oberfläche, an der weder Wasser, noch Öl oder Blut haften bleiben, berichten Forscher im Fachmagazin „Nature“. Im Gegensatz zu bisher bekannten nanostrukturierten Oberflächen sei das neue Material nicht nur einfach und günstig herzustellen, es funktioniere auch unter hohem Druck, bei Kälte und könne kleine Schäden selbst heilen.
Den Bauplan für das neue Material lieferte die in den Tropen verbreitete Kannenpflanze Nepenthes. Sie besitzt an den Wänden ihres kannenförmigen Fangblattes eine extrem glitschige Oberfläche, auf der Insekten sich weder mit Hafthaaren noch mit Öl imprägnierten Fußpolstern festhalten können. Sie rutschen unaufhaltsam dem Boden des Kannenblatts entgegen und finden ihren Tod im Verdauungssaft der Pflanze.
Den Insekten ergehe es bei ihrer Rutschpartie ähnlich wie einem Autofahrer beim Aquaplaning auf nasser Fahrbahn: „Die Reifen verlieren den Kontakt zur Straße und gleiten auf dem Wasser“, erklärt Tak-Sing Wong , Mitarbeiter am Projekt und Erstautor der Studie. „Im Fall der unglückseligen Ameisen findet das Haftöl an ihren Füßen keinen Halt an der glitschigen Beschichtung des Blattes.“
Mikrostruktur der Oberfläche hält Gleitfilm fest
Im Gegensatz zum ebenfalls aus dem Pflanzenreich abgeschauten Lotuseffekt ist bei dem neuen Prinzip die Mikrostruktur der Oberfläche nicht direkt am abweisenden Effekt beteiligt. Stattdessen dient diese nur dazu, eine Gleitflüssigkeit festzuhalten. An der Oberfläche entsteht so ein glitschiger Film. Nach diesem Prinzip erstellte Beschichtungen seien in unterschiedlichen Größenordnungen und mit verschiedenen Materialien und Gleitflüssigkeiten realisierbar, berichten die Forscher. Sie ließen sich dadurch flexibel an den gewünschten Einsatzzweck anpassen.
Rutschbahn schon bei fünf Grad Neigung
Die Forscher entwickelten ihre sogenannten „Slippery Liquid-Infused Porous Surfaces“ (SLIPS) nach den physikalisch-chemischen Prinzipien der Kannenpflanzen-„Rutschbahn“. Als poröses Grundmaterial nutzten sie dafür unter anderem Nanofasern aus Teflon, die sie mit einer Fluor-Kohlenwasserstofflösung tränkten. Die „SLIPS“-Beschichtung sei noch rutschiger als ihr natürliches Vorbild, sagen die Wissenschaftler. Lebende Ameisen, Flüssigkeitstropfen oder Feststoffe glitten in Versuchen selbst dann ab, wenn die Oberfläche nur um rund fünf Grad geneigt war. „SLIPS stoßen zudem eine große Bandbreite von Flüssigkeiten und Feststoffen ab“, sagt Aizenberg.
Im Gegensatz zum Lotuseffekt könne sich das neue System auch selbst heilen, berichten die Forscher. „Selbst als wir eine Probe beschädigten, indem wir mit einem Messer daran herumschabten, reparierte sich die Oberfläche nahezu sofort von selbst“, sagt Wong. Der Flüssigkeitsfilm habe sich wieder geschlossen und die abweisenden Eigenschaften seien auch nach der Beschädigung vollständig erhalten geblieben. Auch bei Frost und unter einem Überdruck, wie er in sieben Kilometern Meerestiefe herrsche, habe das SLIPS-Prinzip weiterhin funktioniert.
Einsetzbar in der Medizin, aber auch für Fenster und Linsen
Solche neuartigen Oberflächenstrukturen könnten in Zukunft für zahlreiche Anwendungen eingesetzt werden, sagen die Forscher um Joanna Aizenberg von der Harvard University in Boston. So beispielsweise als selbstreinigende Beschichtung für die Innenseiten von Benzin- oder Wasserleitungen, in medizinischen Kathetern oder Transfusionssystemen, aber auch als Schutzschicht gegen das Vereisen von Oberflächen. Denkbar seien sogar selbstreinigende Fenster und optische Linsen, da Oberflächen nach dem Kannenpflanzen-Prinzip auch transparent hergestellt werden könnten. „Die Vielseitigkeit, Robustheit und einzigartige Fähigkeit zur Selbstheilung machen es möglich, solche Oberflächen nahezu überall einzusetzen“, sagt Aizenberg.
(Harvard University, 22.09.2011 – NPO)