Unsere steinzeitlichen Vorfahren übernahmen die bäuerliche Lebensweise offenbar langsamer und unvollständiger als bisher vermutet. Darauf deuten mehr als 4.000 Jahre alte Keramikgefäße mit Nahrungsrückständen aus dem westlichen Ostseeraum hin. Die Menschen, die damals diese Nahrung zubereiteten, kannten bereits die Techniken von Ackerbau und Viehzucht. Dennoch habe man nur zu rund einem Drittel Rückstände von Getreide, Milchprodukten und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen in den Gefäßen gefunden, berichtet ein internationales Forscherteam im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Stattdessen deute die Zusammensetzung der Reste auf einen hohen Anteil von Fisch und anderen nicht landwirtschaftlich erzeugten Lebensmitteln hin.
„Bisher nahm man an, dass der Übergang zur Landwirtschaft zu einer schnellen und vollständigen Nahrungsumstellung der Menschen in Nord- und Westeuropa führte“, sagen die Forscher. Nach gängiger Ansicht breiteten sich dabei Methoden der Tier-und Pflanzenzucht gemeinsam mit kulturellen Neuerungen wie Werkzeugen und Keramikstilen aus. Dieses „Gesamtpaket“ soll zu einer kompletten Umwandlung der Kultur in der Jungsteinzeit, dem sogenannte Neolithikum geführt haben. Der Übergang zur Landwirtschaft wird daher auch als „neolithische Revolution“ bezeichnet.
Doch zumindest im Gebiet der westlichen Ostsee sei dieser Übergang weniger eine „Revolution“ als vielmehr eine allmähliche Evolution gewesen, konstatieren die Forscher. „Obwohl sich die Landwirtschaft in dieser Region schnell ausbreitete, brachte sie keine so dramatische Abkehr vom Lebensstil der Jäger und Sammler mit sich, wie wir zuvor dachten“, sagt Erstautor Oliver Craig von der University of York.
Kohlenstoffatome verraten Herkunft der Nahrung
Für ihre Studie analysierten die Forscher die Isotopenzusammensetzung der Kohlenstoffatome in 100 Gefäßen mit Nahrungsrückständen. Die Gefäße stammten aus 15 Fundorten entlang der deutschen, dänischen und schwedischen Ostseeküste. Während Organismen aus dem Meer besonders viel Kohlenstoffisotop C-13 enthalten, ist dieses Isotop in Pflanzen und Tieren an Land kaum zu finden.
In den analysierten Nahrungsresten sei der Anteil des Isotops C-13 deutlich erhöht gewesen, berichten die Forscher. Dies sei ein Hinweis darauf, dass die Menschen in dieser Region ihre alte Lebensweise als Fischer und Sammler auch nach Einführung der Landwirtschaft nicht vollständig aufgaben. Auch die Zusammensetzung der Fette bei weiteren 133 Nahrungsrückständen deute auf eine fischreiche Ernährung hin, sagen die Wissenschaftler. Selbst bei 28 Prozent der Gefäße aus dem Landesinneren fanden sich Hinweise darauf, dass die Menschen in ihnen einst Süßwasserfisch aufbewahrten oder transportierten.
Bauern lernten fischen oder Fischer lernten die Landwirtschaft
„Unsere Ergebnisse liefern klare Belege dafür, dass die Menschen rund um die westliche Ostsee weiter Ressourcen des Meeres und der Flüsse nutzten, auch als sie bereits die Tierzucht und den Anbau von Pflanzen kennen gelernt hatten“, erklärt Craig. Nach Ansicht der Forscher könnten damals entweder die aus dem Inland einwandernden Bauern gelernt haben, zu fischen und damit ihre Nahrung zu ergänzen. Oder aber die ortansässigen Jäger-und-Sammler lernten durch Kontakt mit neu ankommenden Bauern die Techniken der Landwirtschaft, übernahmen diese aber nur zum Teil.
In jedem Falle sei der Übergang zur sesshaften, landwirtschaftlichen Lebensweise weitaus komplexer und regional unterschiedlicher erfolgt als vielfach angenommen, meinen die Wissenschaftler. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2011; DOI:10.1073/pnas.1107202108)
(University of York /PNAS, 25.10.2011 – NPO)