Die Riesen- und Kolosskalmare der Tiefsee haben die größten Augen im Tierreich – und Forscher glauben jetzt zu wissen, wieso. Die fußballgroßen Sehorgane helfen den zehnarmigen Riesen, sich rechtzeitig vor ihren Fressfeinden, den Pottwalen, in Sicherheit zu bringen. „Wir nehmen an, dass in einer Tiefe von mehr als 600 Metern ein solches Auge Pottwale schon aus Entfernungen von mehr als 120 Metern wahrnehmen kann“, schreibt das internationale Forscherteam im Fachmagazin „Current Biology“.
Die bis zu zehn Meter großen Riesen- und Kolosskalmare gehören zu den zehnarmigen Tintenfischen. Sie besitzen Augen mit Durchmessern von bis zu 27 Zentimetern und einer Pupillengröße von neun Zentimetern. Damit sind ihre Sehorgane bis zu drei Mal so groß wie die von Blauwalen. Warum, war der Wissenschaft lange Zeit ein Rätsel. Denn riesige Sehorgane gelten als ökonomisch wenig sinnvoll: „Für Tiere, die unter Wasser leben, lohnt es sich nicht, Augen zu haben, die größer sind als eine Orange“, sagt Erstautor Dan-Eric Nilsson von der schwedischen Lund Universität. „Größere Augen verbessern die Sehkraft nur minimal, sind aber teuer in der Herstellung und im Unterhalt.“ Das gelte auch für die Tiefsee, wo nur wenig Licht ankommt.
Sehkraft im Computer berechnet
Nilsson und seine Kollegen berechneten mit Hilfe eines mathematischen Modells die Sehkraft von Tieren mit unterschiedlichen Augengrößen in verschiedenen Wassertiefen. Wie erwartet stieg das Sehvermögen stark an, wenn die Forscher das Auge größer werden ließen: Es kann dann mehr Licht einfangen. Aber ab einer Pupillengröße von zweieinhalb Zentimetern wuchs die Sehkraft nur noch langsam, wenn die Forscher das Auge weiter vergrößerten. Um Beutetiere wahrzunehmen, die kleiner seien als man selbst, oder auch Artgenossen gleicher Größe, lohnten sich Riesenaugen in keinem Fall, heißt es in der Studie.
„Der einzige bemerkenswerte Vorteil, den sehr große Augen haben, ist, dass sie besser große, leuchtende Objekte in Tiefen von über 500 Metern erkennen können“, schreiben die Wissenschaftler. Damit sind auch Pottwale gemeint. Denn wenn sich Wale durchs Wasser bewegen, stören sie dabei kleine Algen und Meerestiere, die biolumineszieren, also Licht produzieren. „Biolumineszenz kann nachts U-Boote verraten – und tauchende Pottwale werden aus dem gleichen Grund sichtbar“, sagt Nilsson.
Genug Energie für eine schnelle Flucht
Mit ihren fußballgroßen Augen können die großen Kalmare ein Wasservolumen von über sieben Milliarden Litern um sich herum nach Fressfeinden absuchen, haben die Forscher berechnet. Dies entspricht einem Raum, in dem die Cheops-Pyramide knapp zweieinhalb Mal Platz hätte. Komme den Tieren dabei ein Pottwal unter, würden sie höchstwahrscheinlich schnell die Flucht ergreifen: „Ein Körper, der ein Paar fußballgroße Augen bauen, erhalten und antreiben kann, mag auch genug Energie haben für ein rechtzeitiges und energisches Fluchtverhalten“, schreiben die Forscher um Nilsson.
Pottwale stoßen Ultraschallwellen aus, um sich zu orientieren und Beutetiere zu finden. Der Ultraschall erlangt eine Reichweite von einigen hundert Metern, schreiben die Forscher. Tintenfische könnten die Ultraschallwellen aber nicht hören, „daher bleibt die Sicht ihre einzige Möglichkeit, entfernt herannahende Raubtiere wahrzunehmen.“ (Current Biology, 2012; doi: 10.1016/j.cub.2012.02.031)
(Current Biology /dapd, 16.03.2012 – NPO)