Eine von sechs Krebserkrankungen weltweit geht auf infektiöse Krankheitserreger zurück und ist damit potenziell vermeidbar. Das ist das Fazit einer aufwendigen Datenauswertung, die französische Forscher durchgeführt haben. Demnach sind es vor allem vier Erregerklassen, die für einen Großteil der Krebsfälle verantwortlich sind: humane Papillomaviren (HPV), der Magenkeim Helicobacter pylori und Hepatitis B und C. Impf- und Therapieprogramme, mit denen diese Infektionen verhindert oder behandelt werden können, würden daher sehr viel dazu beitragen, die globale Krebsbelastung zu senken. Das schreiben Catherine de Martel von der zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehörenden International Agency for Research on Cancer (IARC) in Lyon im Fachblatt „The Lancet Oncology“.
Vier Erreger, 95 Prozent der Fälle
Die Daten, die den Forschern zur Verfügung standen, stammen aus dem Jahr 2008. Damals hatte die IARC eine Erhebung durchgeführt und Informationen über das Auftreten von 27 Krebsarten in 184 Ländern gesammelt. Ergänzt wurden sie für die aktuelle Auswertung durch weitere Daten aus einzelnen Ländern und Regionen. Um den Beitrag der Infektionen berechnen zu können, analysierten die Forscher, wie häufig Infektionskrankheiten bei Krebspatienten auftreten. Sie konzentrierten sich dabei auf solche Erreger, die nachgewiesenermaßen Krebs auslösen können. Neben den erwähnten vier Klassen gehören dazu zwei Darmparasiten, die Leber- beziehungsweise Gallengangkrebs verursachen, das Epstein-Barr-Virus, dem Lymphome sowie Tumoren im Nasen-Rachen-Raum zugeschrieben werden, zwei Viren, die mit Krebserkrankungen des Blut- und Lymphsystems in Verbindung gebracht werden, und Pärchenegel, die Blasenkrebs auslösen können.
Demnach gab es insgesamt 12,7 Millionen neue Krebsfälle weltweit, von denen 2 Millionen und damit 16 Prozent auf das Konto von Krankheitserregern gingen. Von den 7,5 Millionen Todesfällen in 2008 waren sogar 20 Prozent auf infektionsabhängige Krebsarten zurückzuführen. Die vier häufigsten Erregertypen – HPV, H. pylori, Hepatitis B und C – zeichneten zusammen für 1,9 der 2 Millionen erfassten infektionsabhängigen Krebserkrankungen verantwortlich. Das sei besonders frappierend, weil sich diese Erkrankungen gut verhindern beziehungsweise behandeln lassen, schreiben die Forscher: Gegen HPV und Hepatitis B gibt es Impfungen, und Helicobacter und Hepatitis C sind therapierbar.
Extreme Schwankungen von Land zu Land
Der Großteil – etwa 80 Prozent – der infektionsabhängigen Erkrankungen findet sich in Ländern, die nicht zu den klassischen Industrieländern gehören. Wie hoch der Beitrag der Infektionen dabei ist, variiert von Land zu Land sehr stark. In Australien und Neuseeland beispielsweise gehen nur 3,3 und in Europa 7 Prozent der Krebserkrankungen auf Infektionen zurück, während es in Schwarzafrika 32,7 Prozent sind.
Die Zahlen erfassten sicher nicht in allen Fällen die tatsächlichen Gegebenheiten, räumen die Forscher ein. Sie seien aber die beste Schätzung, die zurzeit existiere. Es sei allerdings nicht ausgeschlossen, dass die tatsächlichen Zahlen weit höher liegen. Denn es gebe bereits bei mehreren Erregern den Verdacht, dass sie ebenfalls Krebs auslösen können, ohne dass das zweifelsfrei bewiesen sei. Eines zeigten die Daten jedoch sehr deutlich: Einfache, bereits verfügbare Maßnahmen wie flächendeckende Impfungen, antimikrobielle Behandlungen und das Sicherstellen von Hygiene in medizinischen Einrichtungen könnten die Zahl der Krebsfälle weltweit drastisch senken – und damit den größten globalen Killer etwas weniger gefährlich machen.
(doi: 10.1016/S1470-2045(12)70137-7)
(The Lancet Oncology, 09.05.2012 – ILB)