Schimpansen halten sich beim Nüsseknacken streng an die Traditionen ihrer Gruppe: Selbst miteinander verwandte Tiere, die im gleichen Waldgebiet leben, verwenden unterschiedliche Werkzeuge – abhängig davon, welcher Gruppe sie angehören. Das hat ein Team um den renommierten Schimpansenforscher Christophe Boesch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig entdeckt.
Die Wissenschaftler hatten drei Schimpansengruppen im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste in Westafrika beobachtet. Dabei stellten sie fest, dass die Gruppen trotz nahezu identischer Lebensbedingungen unterschiedliche Hämmer zum Nüsseknacken bevorzugten. Die Forscher halten dies für einen klaren Hinweis darauf, dass es auch unter Schimpansen kulturell erworbene und weitergegebene Verhaltensweisen gibt. Sie stellen ihre Arbeit im Fachmagazin „Current Biology“ vor.
Die Frage nach der Kultur bei Menschenaffen wird seit langem heftig diskutiert. Zwar ist unumstritten, dass in verschiedenen Schimpansengemeinschaften unterschiedliche Arten von Werkzeugen für diverse Aufgaben verwendet werden und dass Jungtiere sich den Umgang mit diesen Hilfsmitteln bei den älteren Gruppenmitgliedern abgucken. Meist handelt es sich jedoch um weit voneinander entfernt lebende Gruppen, die zum Teil völlig unterschiedliche Lebensräume besiedeln. Es ließ sich daher bisher nicht endgültig klären, ob es sich bei dem jeweiligen Werkzeuggebrauch tatsächlich um ein kulturelles Merkmal handelt oder ob nicht eher lokale Gegebenheiten oder gar eine genetische Veranlagung bestimmte Verhaltensweisen fördern.
Nachbarn und Verwandte untersucht
Um dieses Problem zu umgehen, wählten Boesch und seine Kollegen für ihre Beobachtungen drei Gruppen von Schimpansen aus, die in unmittelbarer Nachbarschaft im gleichen Waldstück leben. Da geschlechtsreife Weibchen zudem immer wieder die Gruppen wechseln, um einen Partner zu finden, existiert auch ein gewisser Grad an Verwandtschaft zwischen ihnen. Die Idee der Forscher: Wenn es zwischen solchen Gruppen Unterschiede gibt, dann müssen diese auf Gruppentraditionen und damit auf eine Kultur zurückzuführen sein.
Tatsächlich wurden sie fündig, und zwar beim Nüsseknacken. Alle drei Gruppen haben eine grundlegend ähnliche Technik entwickelt, um die in der Umgebung häufig vorkommenden Coula-Nüsse von ihrer Schale zu befreien: Sie legen sie auf eine Baumwurzel und schlagen so lange mit einem hammerartigen Werkzeug auf sie ein, bis sie an den fettreichen Kern gelangen. Als Hämmer dienen dabei sowohl Holzstücke als auch Steine. Welche Variante von den Tieren bevorzugt wird, hängt jedoch von ihrer Gruppenzugehörigkeit ab, konnten die Forscher zeigen.
Kultur wichtiger als Gene oder natürliche Gegebenheiten
So benutzten die Schimpansen von der am weitesten südlich lebenden Gruppe die gesamte Saison über am liebsten Steine. Wählten sie doch einmal einen Holzhammer, war dieser vergleichsweise groß. Ihre weiter östlich lebenden Nachbarn schlugen zu Beginn der Saison, wenn die Nüsse noch von einer festen Schale umgeben sind, ebenfalls meistens mit Steinen auf sie ein. Mit dem Fortschreiten der Jahreszeit wurden die Nüsse jedoch weicher, und die Schimpansen gingen sind zu Holzhämmern über. Ähnlich verhielt sich die nördliche Gruppe, allerdings waren hier die Holzstücke im Schnitt kleiner als bei den anderen beiden.
Offenbar spielen äußere Faktoren, wie etwa die Härte der Nüsse, eine gewisse Rolle bei der Wahl des Werkzeuges, resümieren die Forscher. Wichtiger scheine jedoch die in der Gruppe verbreitete Tradition zu sein. Das habe man vor allem an der Südgruppe gesehen, die unabhängig von der Nusshärte durchgehend die gleichen Werkzeuge eingesetzt habe – obwohl Holzhämmer leichter zu beschaffen seien als geeignete Steine. Beim Menschen werde allgemein angenommen, dass Kultur ökologische und genetische Einflüsse auf das Verhalten überschreibt, erläutert das Team. Haben sich die kulturellen Verhaltensweisen dann einmal etabliert, werden die Menschen unabhängiger von äußeren Einflüssen. Die aktuellen Ergebnisse zeigten nun, dass es bei Schimpansen zumindest zu einem gewissen Grad einen ähnlichen Effekt gebe. (doi: 10.1016/j.cub.2012.03.031)
(Current Biology, 11.05.2012 – ILB)