Vor gut 1.200 Jahren traf ein gewaltiger kosmischer Strahlenausbruch die Erde. Spuren dieses Ereignisses im Jahr 775 nach Christus haben Forscher jetzt in den Jahresringen von Bäumen entdeckt. Die damals auf die Erdoberfläche treffende Strahlung sei innerhalb von weniger als einem Jahr, möglicherweise sogar in noch kürzerer Zeit auf das 20-fache der normalen Schwankungsbreite der kosmischen Hintergrundstrahlung angestiegen. Die Ursache dieses Strahlenausbruchs ist aber noch immer rätselhaft: Weder eine Supernova noch ein besonders starker Sonnensturm könne dieses Ereignis zufriedenstellend erklären, berichten die Forscher in der Online-Ausgabe des Fachmagazins „Nature“.
Entdeckt hatten die Forscher die Hinweise auf den Strahlensturm, als sie die Baumringe von zwei japanischen Zedern auf ihren Kohlenstoff-14-Gehalt hin analysierten. Diese auch als C-14 bezeichnete Form des Kohlenstoffs enthält zwei Neutronen mehr im Atomkern als das normalerweise vorherrschende Kohlenstoffisotop C-12. C-14 entsteht unter anderem in der Atmosphäre, wenn energiereiche kosmische Strahlung dort auf Stickstoffatome trifft und diese umwandelt. Der dabei entstehende Kohlenstoff wird von Pflanzen aufgenommen und in ihre Gewebe eingebaut. In den Jahresringen von Bäumen ist daher ein ungewöhnlicher Anstieg von C-14 noch Jahrhunderte später nachweisbar und lässt sich zeitlich einordnen.
Bei der Untersuchung von Zedernholz aus der Zeit von 750 bis 820 stießen Fusa Miyake von der Nagoya Universität in Japan und seine Kollegen auf einen ungewöhnlichen Ausreißer: „Innerhalb eines Jahres – von 774 bis 775 nach Christus – stieg der C-14-Gehalt um zwölf Promille und nahm dann über mehrere Jahre hinweg langsam wieder ab“, berichten sie. Diese Menge sei um das Zehnfache höher als die normalerweise durch die kosmische Strahlung auf der Erde erzeugte. Sie müsse durch ein kurzzeitiges, sehr energiereiches Ereignis hervorgerufen worden sein.
Supernova eher unwahrscheinlich
Auf der Suche nach einer Erklärung für diesen plötzlichen Strahlensturm prüften die Forscher, ob eine Supernova als Quelle dieser Strahlung in Frage kommen könnte. Um die hohen C-14-Werte zu erklären, müsste diese Supernova rund 100 Mal mehr energiereiche Gammastrahlen ausgesendet haben als eine normale – oder aber der Erde sehr nahe gewesen sein, wie die Wissenschaftler errechneten. „Und eine Supernova , die sich vor so relativ kurzer Zeit und so nah an der Erde ereignete, müsste auch heute noch Radiowellen und Röntgenstrahlen aussenden und damit nachweisbar sein“, erklären Miyake und seine Kollegen. Aber weder die Supernova noch ihr Relikt habe man beobachtet.
Als nächstes testeten die Wissenschaftler, ob eine besonders starke Sonneneruption die Strahlung verursacht haben könnte. Bei einer solchen Eruption schleudert die Sonne glühend heißes Plasma und energiereiche Teilchen weit ins All hinaus. „Eine solche Eruption hätte aber sehr viel mehr harte Strahlung erzeugen müssen als alle bisher beobachteten Flares dieser Art“, sagen Miyake und seine Kollegen. Von der Sonne habe man aber bisher angenommen, dass sie keine solchen Super-Flares produziert.
Der historische Strahlensturm stellt die Forscher demnach noch immer vor ein Rätsel. „Mit unserem momentanen Wissen können wir die Ursache dieses Ereignisse nicht genauer bestimmen“, konstatieren die Forscher abschließend. Man könne nur feststellen, dass sich im Jahr 775 ein extrem energiereiches Ereignis in unserer komischen Nachbarschaft ereignet habe. Weitere Untersuchungen seien nun nötig, um die Quelle der Strahlung zu finden. (doi:10.1038/nature11123)
(Nature, 04.06.2012 – NPO)