Der Tod ereilte sie beim Sex: Zum ersten Mal haben Paläontologen Fossilien von kopulierenden Wirbeltieren entdeckt. In der Grube Messel bei Darmstadt stießen sie auf insgesamt neun Paare von urzeitlichen Weichschildkröten, die während der Paarung gestorben und in dieser Position konserviert worden waren. Die Hinterenden ihrer Schilde waren aneinandergedrückt und die Männchen hatten teilweise noch ihren Schwanz unter die Schale des Weibchens gebogen und ihn neben den ihrer Partnerin gelegt. Das sei typisch für die Paarungsstellung. Der Fund der kopulierend gestorbenen Schildkröten deute aber auch darauf hin, wie die Tiere einst in dem ehemaligen Vulkansee starben. Vermutlich seien sie bei der Paarung in tiefere, giftige Wasserschichten des Sees abgesunken und dort schnell gestorben, berichtet das deutsch-schweizerische Forscherteam im Fachmagazin „Biology Letters“. Neben Paläontologen der Universitäten Tübingen und Zürich gehören auch Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstituts in Frankfurt und des Hessischen Landesmuseums Darmstadt dazu.
Die Grube Messel gehört wegen ihrer reichen Fossilbestände zu den Weltnaturerbe-Stätten der UNESCO. In den Ölschieferablagerungen des einstigen Vulkansees finden sich zahlreiche Relikte von Tieren und Pflanzen aus der Zeit vor rund 47 Millionen Jahren. In dem Messeler Ölschiefer fanden die Forscher auch die insgesamt 51 Exemplare der Weichschildkröten Allaeochelys crassesculpta, von denen 18 als Paar erhalten waren. „Dieser Fund hat große Bedeutung für die gesamte Fossilgeschichte der Grube Messel“, meinen die Paläontologen. Denn die kopulierenden Schildkröten-Paare sprächen gegen bisherige Szenarien für den Tod der urzeitlichen Tiere in dem einstigen Vulkansee.
Weder giftige Vulkangase noch Algenblüte als Todesursache
Bisher vermutete man, dass der See periodisch giftige vulkanische Gase ausstieß, oder aber, dass toxische Algenblüten im Sommer das Trinkwasser der im und am See lebenden Tiere vergiftete. Keines dieser beiden Szenarien könne aber erklären, warum die Schildkröten ausgerechnet bei der Paarung gestorben seien: „Es ist unplausibel, dass die Schildkröten freiwillig in giftigem Wasser schwimmen, um ihre Partner werben und sich dann schließlich dort paaren“, sagen Walter Joyce von der Universität Tübingen und seine Kollegen. Es sei daher äußerst unwahrscheinlich, dass es im Sommer, zur Paarungszeit der Schildkröten, eine giftige Algenblüte im See gegeben habe.
Nach Ansicht der Forscher deutet der Tod der kopulierenden Schildröten auf ein ganz anderes Szenario hin: „Wenn ein Wasserschildkröten-Männchen ein Weibchen erfolgreich bestiegen hat, bleibt das Paar meist geraume Zeit bewegungslos im Wasser“, erklären Joyce und seine Kollegen. Dabei könne das Paar in beträchtliche Tiefen absinken. Sie vermuten daher, dass die Urzeit-Schildkröten im ungiftigen Oberflächenwasser des Sees mit ihrer Paarung begannen, dann aber in tiefere, giftige Wasserschichten absanken.
Das durch Vulkangase oder organische Ablagerungen toxische Tiefenwasser sei für die Tiere tödlich gewesen, sagen die Forscher. Denn die Haut heute noch lebender und höchstwahrscheinlich auch der urzeitlichen Weichschildkröten war ungepanzert und relativ durchlässig, weil diese Tiere auch über die Haut atmeten. Am Grund des Sees angekommen, rutschten die toten Männchen vom Rücken der Weibchen herunter und ihre Fossilien lagerten sich Seite an Seite ab – so wie sie nun gefunden wurden. (doi:10.1098/rsbl.2012.0361)
(Biology Letters, 20.06.2012 – NPO)