Schlangen entwickelten sich wahrscheinlich nicht im Wasser, sondern an Land. Darauf deuten Untersuchungen eines 70 Millionen Jahre alten Schlangenskeletts hin. US-amerikanische Forscher haben dieses Fossil als wichtiges Bindeglied der Schlangenevolution identifiziert. Es vereint einen schlangenförmigen Körper mit einem eidechsenähnlichen Kopf. Größe und Wirbelsäulenform des Fossils deuten darauf hin, dass diese Schlange von landlebenden Wühlechsen abstammte, die im Laufe der Zeit ihre Gliedmaßen immer weiter reduzierten. Das habe es den Tieren erleichtert, sich in Gängen unter der Erde fortzubewegen, berichten die Forscher im Fachmagazin „Nature“. Am Schädel der Urschlange lasse sich zudem ablesen, dass dieses Tier noch keinen dehnbaren Kiefer besaß. Es konnte Beute daher noch nicht komplett herunterschlingen wie die meisten heutigen Schlangen.
Mit fast 3.000 verschiedenen Arten sind Schlangen die erfolgreichsten Wirbeltiere, was Überlebensmechanismen in den unterschiedlichsten Lebensräumen angeht, schreiben Nicholas Longrich von der Yale University und seine Kollegen in ihrer Studie. Der Ursprung und die frühe Entwicklung dieser Reptilien seien aber nur sehr wenig erforscht, weil nur wenige Übergangsformen gefunden wurden. Vor allem sei bisher nicht geklärt, ob der lange Körper und die verkürzten Gliedmaßen eine Folge der Anpassung an Lebensbedingungen an Land oder im Wasser waren.
Die Urschlange war nur 70 Zentimeter lang
„Einzig Fossilienfunde können mehr Klarheit über die Evolution der Schlange schaffen“, erklären die Forscher. Auf Ausgrabungsexpedition nach versteinerten Schlangenskeletten musste sie sich allerdings nicht begeben. Überraschenderweise seien Wirbel und Schädelelemente der Urschlange Coniophis zwar in Nordamerika häufig gefunden, aber nie genauer untersucht worden, sagen die Wissenschaftler. Die nur etwa 70 Zentimeter lange Schlange lebte vor rund 70 Millionen Jahren in der späten Kreidezeit und sei damit einer der urtümlichsten Vertreter dieser Tiergruppe.
Die Analyse des versteinerten Skeletts zeige, dass die Urschlange Coniophis eine der gesuchten Übergangsformen sei, berichten die Forscher. Der Körperbau des Urreptils weise gleichzeitig Elemente von heute lebenden Schlangenspezies und von Echsen auf. Die Schlange stamme höchstwahrscheinlich von den landlebenden Wühlechsen ab und hätte sich damit nicht im Wasser entwickelt, sagen die Wissenschaftler. Denn zum einen zeigen die Fundorte der Fossilien, dass die Art s in flussnahen Gebieten lebte – und damit auf dem Land. Zum anderen weist ihre langestreckte Körperform keinerlei Anpassung an die Fortbewegung im Wasser auf. So sind etwa die Knochen der Urschlange nicht verdickt, wie es bei wasserlebenden Wirbeltieren gewöhnlich der Fall ist, um den Auftrieb des Körpers im Wasser auszugleichen. Stattdessen ähnelt der Bau ihrer Wirbelsäule eher jenen von Echsen oder Schlangen, die sich die meiste Zeit in Löchern unter der Erde aufhalten. Die Gliedmaßen verkümmerten demnach, um sich besser durch die Erde graben zu können – nicht aber zur Fortbewegung im Wasser, schlussfolgern die Wissenschaftler.
Abgesehen von dem sehr schlangenähnlichen Körper besaß das Urreptil einen echsenartigen Kopf- und Kieferbau. Bei der Coniophis-Schlange war die Kinnlade fest verankert und der Kiefer damit nicht dehnbar, schreiben die Studienautoren. Die Fähigkeit große Beutetiere im Ganzen zu verschlingen, wie es heutige Schlangenarten können, hätte sich erst später entwickelt. Nach Ansicht der Forscher ermöglichte den Schlangen wahrscheinlich erst die Entwicklung des dehnbaren Kiefers, sich auszubreiten und die vielen heute bekannten Formen zu bilden. (doi:10.1038/nature11227)
(Nature, 26.07.2012 – ILB)