Magersüchtige empfinden sich oft als dick, obwohl sie in Wirklichkeit stark abgemagert sind. Warum das so ist, könnte ein Auffälligkeit in ihrem Gehirn erklären: Zwei Hirnareale, die für die Verarbeitung von Körperbildern wichtig sind, sind bei magersüchtigen Frauen weniger stark miteinander verknüpft als bei gesunden. Das berichtet ein Bochumer Forscherteam im Fachmagazin „Behavioural Brain Research“. Je stärker dieser Verbindungsfehler war, desto dicker empfanden sich die Teilnehmerinnen ihrer Studie.
Wenn Menschen Bilder des eigenen oder eines anderen Körpers ansehen, sind eine ganze Reihe von Hirnregionen aktiv. Sie verarbeiten die Informationen und tragen entscheidend dazu bei, dass wir ein Bild unseres eigenen Körpers gewinnen. Nicht immer aber stimmt diese Vorstellung mit dem tatsächlichen Aussehen des Körpers überein. Magersüchtige beispielsweise empfinden sich oft selbst als dick, obwohl sie stark untergewichtig sind. Woher diese Fehlwahrnehmung kommt, war bislang unklar. Jetzt haben Forscher der Ruhr-Universität Bochum in der Hirnaktivität von magersüchtigen Frauen nach Hinweisen auf eine Auffälligkeit gesucht – und sind fündig geworden.
Selbstbild verschoben
Die Wissenschaftler testeten zunächst das Körperbild von zehn magersüchtigen und 15 gesunden Frauen ähnlichen Alters. Dafür sollten alle Frauen am Computer angeben, welche von mehreren unterschiedlich schlanken Silhouetten ihrer eigenen Körperform am ehesten entspricht. Zehn Kontrollpersonen ordneten währenddessen die tatsächliche Körperform der Probandinnen ein, indem sie ein Foto der Teilnehmerin der ihrer Ansicht nach passendsten Silhouette zuordneten. Das Ergebnis war zunächst wie erwartet: Die gesunden Probandinnen sahen sich selbst eher als dünner an, die magersüchtigen Frauen nahmen sich selbst dagegen als dicker wahr.
Spannender wurde es, als die Forscher die Hirnaktivität der 25 Teilnehmerinnen mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) aufzeichneten, während diese Fotos von Körpern betrachteten. Sie analysierten vor allem die Aktivität in der sogenannten fusiform body area, kurz FBA, und der extrastriate body area, kurz EBA. Diese beiden Hirnregionen gelten als entscheidend für die Wahrnehmung von Körpern. Für ihre Auswertung berechneten die Bochumer Neurowissenschaftler die sogenannte effektive Konnektivität zwischen FBA und EBA in beiden Hirnhälften. Sie ist ein Maß dafür, wie stark die Aktivität in mehreren Hirnarealen zeitlich korreliert ist; eine hohe Korrelation lässt auf eine starke funktionelle Verbindung schließen.
Verbindungsstörung im Gehirn
Das Ergebnis: Die Verbindung zwischen FBA und EBA war bei magersüchtigen Frauen schwächer als bei gesunden Frauen. Vor allem die Verknüpfung beider Areale in der linken Hirnhälfte scheint eng mit der Fehleinschätzung des Körpergewichts zusammenzuhängen: Je schwächer die effektive Konnektivität zwischen EBA und FBA war, desto dicker schätzten sich die Probandinnen mit Magersucht fälschlicherweise ein. Diese Auffälligkeiten im Gehirn könnten erklären, warum Frauen mit Magersucht sich selbst als dick wahrnehmen, obwohl sie objektiv untergewichtig sind“, sagt Studienleiter Boris Suchan vom Institut für Kognitive Neurowissenschaft der Ruhr-Universität.
Dass eines der beiden Areale, die EBA, sich bei Magersüchtigen von Gesunden unterscheidet, hatten die Forscher bereits früher festgestellt. Sie weist bei ersteren eine geringere Zelldichte auf. Jetzt zeigte sich, dass das Areal zusätzlich auch weniger Input vom zweiten Körperbild-Zentrum bekommt. „Diese Veränderungen könnten einen Mechanismus für die Entstehung der Magersucht darstellen“, so Suchan. (Behavioural Brain Research; doi:10.1016/j.bbr.2012.12.002)
(Ruhr-Universität Bochum, 23.01.2013 – NPO)