Nicht zu harte, sondern zu weiche Nahrung schadet unseren Zähnen. Denn die mangelnde Abnutzung führt zu mehr Spannungen in den Zähnen und einer höheren Belastung des Zahnschmelzes. Dies wiederum erhöht das Risiko von abplatzendem Schmelz am Zahnhals, wie deutsche Forscher herausfanden und erklärt, warum sich solche Fälle häufen. Also: Mehr Möhren essen hilft.
Unsere Zähne sind uns wichtig und teuer. Dabei stehen heute oft ästhetische Aspekte im Vordergrund. Ein gesundes Gebiss soll strahlend weiße Zahnkronen und möglichst keine Zahnabnutzung aufweisen. Die evolutionäre Geschichte unseres Gebisses lehrt uns allerdings etwas anderes. Eine natürliche Zahnabnutzung als unvermeidbare Folge der Nahrungszerkleinerung und des Lebensraumes begleitet seit Urzeiten die Evolution der Menschen. Heute jedoch müssen unsere Zähne kaum mehr etwas tun: Unsere Nahrung – vom Burger bis zum Fruchtjoghurt – ist meist weich und muss kaum noch gekaut werden, Rohkost essen viele von uns nur selten.
Doch das hat offenbar Folgen, wie Forscher jetzt feststellten. „In unseren industrialisierten Gesellschaften finden wir an den Zähnen einen deutlichen Anstieg von Zahnhalsdefekten“, erklärt Ottmar Kullmer vom Senckenberg Forschungsinstitut. Er und seine Kollegen haben daher näher untersucht, ob diese Häufung mit unseren veränderten Kau- und Ernährungsgewohnheiten zusammenhängen könnte.
Gebiss im 3D-Modell
Für ihre Studie bestimmten die Forscher zunächst mit Hilfe einer im Senckenberg Forschungsinstitut entwickelten Software die genauen Zahn-zu-Zahn Kontakte in menschlichen Gebissen. Denn je nachdem, wo sich die Zähne sich beim Beißen berühren, verändert dies auch die Spannungsverteilung in ihrem Inneren. Mit diesen Daten fütterten sie ein Modell. „Die individuellen Zahnkontakte dienten der möglichst realitätsnahen Computersimulation der Belastungsverteilung beim Zubeißen“, erklärt Stefano Benazzi vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Um zu vergleichen, welche Folgen mehr oder weniger Abnutzung auf die Belastung der Zähne hat, schliffen sie in einem ihrer Simulationsdurchgänge zwei der Prämolaren künstlich ab und ahmten damit die natürliche Abnutzung nach. So konnten die Forscher berechnen, wie sich das Belastungsmuster mit dem kontinuierlichen Abrieb von Zahnsubstanz verändert.
Mehr Spannungen bei nicht abgenutzten Zähnen
Das Ergebnis: In den stärker abgenutzten Zähnen verteilt sich die Belastung wesentlich besser über die gesamte Zahnkrone, Zugspannungen werden deutlich reduziert. Bei den nicht abgenutzten Zähnen traten dagegen deutlich höhere Spannungen auf, besonders im Zahnhalsbereich. Nach Ansicht der Forscher könnte dies erklären, warum heute so viele Fälle von abgesprengtem Zahnschmelz in diesem Areal vorkommen – die Menschen essen zu wenig harte Kost.
„Die Evolution scheint hier eine durchaus erfolgreiche Kompromisslösung zwischen Materialverlust und möglichst langem Funktionserhalt gefunden zu haben“, so Benazzi. Doch die moderne Gesellschaft wirke dieser biologischen Anpassung entgegen.
(Max-Planck-Gesellschaft, 25.04.2013 – NPO)