Biologie

Auferstehung: Moos übelebt 400 Jahre im Eisgrab

Jahrhunderte unter einem arktischen Gletscher begrabene Moose schlagen wieder neu aus

Frisch vom Eis freigelegt: Ein Polster des Mooses Aulacomnium turgidum im Vorfeld des Teardrop Glacier in der kanadischen Arktis © Catherine La Farge

Moose sind so leicht nicht totzukriegen, das weiß man schon seit längerem. Jetzt aber haben diese seit rund 400 Millionen Jahren erfolgreichen Gewächse selbst Botaniker verblüfft: Denn in der kanadischen Arktis überdauerten Moose 400 Jahre lang unter dem meterdicken Eis eines Gletschers – nur um bei seinem Abschmelzen neu auszuschlagen als wenn nichts gewesen wäre. Das demonstriere eindrucksvoll, wie widerstandsfähig diese Pflanzengruppe sei, konstatieren kanadische Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Es zeige aber auch, dass der von den schrumpfenden Gletschern freigelegte Boden weder tot noch unbewohnt ist.

Die zunehmende Klimaerwärmung lässt weltweit die Gletscher schwinden. Auf der Ellesmere Insel in der kanadischen Arktis hat sich beispielsweise der Teardrop Gletscher seit 1850 um mehr als 200 Meter zurückgezogen. „Im Gletschervorland ist dies deutlich an einer scharfen Grenze zu erkennen“, berichten Catherine La Farge von der University of Alberta in Edmonton und ihre Kollegen. Während außerhalb dieser Grenze die normale arktische Vegetation wächst, finden sich auf dem zuvor von Eis bedeckten, helleren Boden zahlreiche Eistrümmer und nur wenige, vereinzelt stehende Pflanzen. Die meisten davon gehören zu den typischen Pionierpflanzen – den Gewächsen, die besonders gut auf kahlem Boden wachsen und daher meist zu den ersten Besiedlern gehören.

Begraben in der Kleinen Eiszeit

Dazwischen aber entdeckten die Forscher auch kleine Moospolster, die auf den ersten Blick alles andere als gesund aussahen: Sie waren schwärzlich-braun statt saftig grün. Offensichtlich, so die Schlussfolgerung von La Farge und ihren Kollegen, waren diese Moose einst vom Gletscher überwandert, im Eis konserviert und erst jetzt wieder freigelegt worden. „Solche subglazialen Pflanzen hat man seit den 1960er Jahren auch an andern Gletschern schon gefunden – bisher aber hielten alle Forscher sie für tot“, erklären die Wissenschaftler. Ob das tatsächlich der Fall ist, haben sie nun systematisch getestet.

Im ersten Schritt prüften die La Farge und ihre Kollegen mit Hilfe der Radiokarbon-Methode, wie alt die vermeintlich toten Moospolster waren. Dabei zeigte sich: Die Gewächse waren echte Methusalems, sie hatten bereits stattliche 400 bis 600 Jahre hinter sich. Sie stammen damit aus der Ära der sogenannten kleinen Eiszeit, einer besonders kühlen Klimaperiode zwischen 1550 und 1850. Dafür allerdings waren sie außergewöhnlich gut erhalten: „Ihre Stängel, Borsten und selbst die feinen Spitzen der Blatthaare sind noch völlig intakt“, berichten die Forscher. Offenbar seien sie unter dem Eis unter idealen Bedingungen konserviert worden.

Neu zum Leben erwacht: Neue Triebe des 400 Jahre unter Eis begrabenen Mooses © Catherine La Farge

Klonkünstler der Natur

Aber waren die Gletschermoose wirklich nur konserviert, oder lebten sie vielleicht doch noch? Um das zu prüfen, machten La Farge und ihren Kollegen die Probe aufs Exempel. Sie sammelten Proben von sieben verschiedenen subglazialen Moosen und setzten zerkleinerte Pflanzenteile der Proben im Labor in Töpfe mit Blumenerde oder Nährmedium ein.

„Das funktioniert, weil Moose vorwiegend klonale Organismen sind: Sie haben die Fähigkeit, auch aus einzelnen ausgewachsenen Zellen wieder eine komplette, neue Pflanze zu bilden“, erklären die Forscher. Diese mehr als 470 Millionen Jahre alte Gruppe der Landpflanzen habe damit eine einzigartige evolutionäre Strategie entwickelt. Den Erfolg dieser Strategie belegten die Laborversuche: Immerhin rund ein Drittel der am Gletscherrand eingesammelten Moosproben erwiesen sich keineswegs als tot, sondern als durchaus lebendig und wuchsfreudig. Sie bildeten neue grüne Stängel und Blätter aus.

Unter den auf diese Weise wieder auferstandenen Moosen waren sowohl an Trockenheit angepasste Arten als auch feuchteliebende, wie die Wissenschaftler berichten. Das demonstriere, dass Moose mit ganz unterschiedlichen ökologischen Ansprüchen die Fähigkeit besitzen, jahrhundertelang zu überdauern – und dann wieder neu auszuschlagen.

Ostrand des Teardrop Glacier auf Ellesmere Island in der kanadischen Arktis © Catherine La Farge

Gletschergrund als Reservoir des Lebens

Wie die Forscher betonen, sei dafür nichts weiter nötig als ein bisschen Erde. Im Gegensatz dazu konnte das 2012 von Forschern aus dem sibirischen Permafrost geborgene eiszeitliche Leimkraut nur durch einen aufwändigen Prozess regeneriert werden. Dabei entnahmen die Forscher Gewebe aus einem Samen der 30.000 Jahre alten Blütenpflanze, klonten die darin enthaltenen embryonalen Zellen und brachten sie anschließend mittels spezieller Nährlösungen zum Wachsen.

Die einst vom Gletscher begrabenen Moose dagegen schaffen die Wiederauferstehung aus eigener Kraft, wie La Farge und ihre Kollegen am Teardrop Gletscher beobachteten. Denn bei näherem Hinsehen fanden sie auch dort vom Eis freigegebene Moospolster, die erste neue Triebe entwickelt hatten.

„Böden und Landschaften, die durch das zurückweichende Eis der Gletscher freigelegt werden, können daher nicht länger als öde und frei von Landpflanzen angesehen werden“, konstatieren die Wissenschaftler. Neben Bakterien, mikroskopischen Algen und Bodenorganismen bilden auch konservierte Moose einen ersten Grundstock für die Neubesiedelung solcher Lebensräume. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2013; doi: 10.1073/pnas.1304199110)

(Proceedings of the National Academy of Sciences, 28.05.2013 – NPO)

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