Sie verhüllten ihre entstellten Körper mit Bandagen, mussten eine Warn-Glocke tragen und waren aus der Gesellschaft ausgestoßen: Leprakranke gehörten zum Alltag im mittelalterlichen Europa. Doch das änderte sich ab dem 16. Jahrhundert: Die vormals weit verbreitete Erkrankung verschwand zunehmend. Warum, war bisher unklar. Ein internationales Forscherteam hat nun anhand genetischer Analysen festgestellt, dass der Erreger seine Infektionskraft damals nicht verloren hat. Vermutlich bildeten sich in der Bevölkerung stattdessen Resistenzen gegen das Bakterium, die für den Rückgang der Lepra verantwortlich war, so die Forscher im Fachmagazin „Science“.
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Lepra, eine ansteckende, chronische Krankheit, war bis ins späte Mittelalter in Europa weit verbreitet. Verursacht wird sie durch das Bakterium Mycobacterium leprae. Der Erreger löst Hautverfärbungen aus und lässt die Nerven absterben. Dadurch verlieren die Betroffenen das Gefühl in Fingern, Füßen und andern Körperteilen und merken nicht, wenn sie sich verletzten. Im weiteren Verlauf der Krankheit können außerdem Geschwüre entstehen, die Knochen, Muskeln und andere Organe zerfallen lassen. Die „Aussätzigen“ waren aus der Gesellschaft ausgestoßen, mussten eine Warnglocke tragen und wurden in Leprakolonien isoliert. Wie sich der Erreger im Laufe der Geschichte entwickelte, warum die Krankheit ab dem 16. Jahrhundert zurückging und ob die heute verbreiteten Bakterienstämme mit dem des mittelalterlichen „Aussatzes“ identfisch sind – all dies war bisher unklar.
Um die Geschichte der Krankheit zurückzuverfolgen, haben Johannes Krause von der Universität Tübingen und seine Kollegen Gewebeproben aus fünf mittelalterlichen Lepratoten aus Dänemark, Schweden und Großbritannien entnommen und daraus das Erbgut des Lepra-Erregers Mycobacterium leprae isoliert und analysiert. Dieses verglichen sie mit sieben Biopsie-Proben heutiger Patienten und vier weiteren modernen Leprastämmen.
Bis heute kaum Veränderung im Erbgut
Das Ergebnis: Der Lepra-Erreger hat sich in den letzten tausend Jahren ungewöhnlich wenig verändert. Das Genom der mittelalterlichen Stämme ist mit dem der heutigen noch immer nahezu identisch. Die Forscher schließen daraus, dass eine genetische Änderung des Bakteriums nicht die Ursache für den Rückgang der Leprafälle im 16. Jahrhundert gewesen sein kann. Die mittelalterliche Lepra-Epidemie muss demnach durch andere Faktoren wie beispielsweise verbesserte soziale Verhältnisse beeinflusst worden sein. „Wenn nicht der Erreger, war es wohl der Wirt, der sich damals veränderte“, schlussfolgert Stewart Cole, einer der beteiligten Wissenschaftler vom Global Health EFFL Institut in Lausanne. „Dieser Spur wollen wir nun auch weiter nachgehen“.
Wie die Forscher berichten gab es im Mittelalter gute Voraussetzungen dafür, dass die Menschen im Laufe der Zeit eine erhöhte Widerstandskraft gegenüber der Lepra entwickelten. Die Lepra war weit verbreitet und Erkrankte wurden konsequent isoliert. Dadurch wurden Menschen mit einer genetisch bedingten Anfälligkeit für Lepra an der Fortpflanzung gehindert. Die Anzahl der Menschen, die eine erhöhte Resistenz gegenüber dem Erreger besaßen, nahm zu. Cole zufolge gibt es auch bereits Hinweise aus anderen Studien, dass Europäer im Vergleich zu Menschen aus anderen Teilen der Welt widerstandsfähiger sind.
Überraschenderweise war in den untersuchten Skeletten eine viel größere Menge Erreger-DNA vorhanden, als normalerweise in heutigen Patienten zu finden ist. Die Forscher führen dieses Phänomen darauf zurück, dass sich bakterielle DNA wahrscheinlich auf Grund der extrem dicken Zellwand des Lepra-Bakteriums nur sehr langsam zersetzt und sich so in den Skeletten über die Jahre anreichert. „Das eröffnet die Möglichkeit, dass bestimmte Formen bakterieller DNA über das maximale Alter für Säugetier-DNA hinaus erhalten bleibt, das rund eine Million Jahre beträgt“, sagt Johannes Krause. „Damit sollte es möglich sein, die Krankheit bis in ihre prähistorischen Ursprünge zurückzuverfolgen.“ (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1238286)
(Science, 14.06.2013 – MVI)