Hormonähnlich wirkende Chemikalien wie Bisphenol A (BPA) beeinflussen selbst in niedrigen Dosen den Hormonhaushalt von Ungeborenen. Die verweiblichenden Folgen davon sind beim männlichen Nachwuchs an den Zehenlängen ablesbar – und dies noch in der übernächsten Generation. Das belegt nun ein Experiment französischer Forscher mit Ratten. Erhielten schwangere Weibchen niedrigen Dosen BPA oder Sojaöstrogen, zeigte ihr männlicher Nachwuchs eine sonst für Weibchen typisches Längenverhältnis von Zeige- zu Ringzeh, wie die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the Royal Society B“ berichten.
Schon im Mutterleib werden wir durch die Geschlechtshormone Testosteron und Östrogen geprägt. Teilweise von unserem eigenen Körper produziert, teilweise von der Mutter, beeinflussen diese Botenstoffe die Entwicklung unserer Geschlechtsmerkmale, aber auch unsere spätere Gesundheit. Eines der Merkmale, an denen sich auch bei Erwachsenen noch ablesen lässt, wie stark sie vor der Geburt dem männlichen Geschlechtshormon Testosteron ausgesetzt waren, sind die Finger – genauer gesagt das Längenverhältnis von Zeigefinger zu Ringfinger.
Typischerweise ist bei Männern – die in Regel mehr durch Testosteron als Östrogen geprägt sind – der Zeigefinger kürzer als der Ringfinger, bei Frauen ist es umgekehrt. „Es war jedoch bisher unbekannt, ob auch hormonell wirkende Substanzen aus der Umwelt auf das Ungeborene wirken und dessen Fingerlänge beeinflussen“, erklären Jacques Auger von den Universitätskliniken in Paris und seine Kollegen. Ein Beispiel für solche hormonähnlich wirkenden Substanzen ist das Bisphenol A (BPA), eine in vielen Kunststoffen enthaltene Chemikalie. Studien deuten darauf hin, dass BPA beim Menschen Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördert und bei Männern die Fruchtbarkeit senken kann, weil es ähnlich wie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen wirkt.
BPA oder Sojahormon für die schwangeren Rattenweibchen
In ihrer Studie wollten die Forscher nun herausfinden, ob sich niedrige Dosen BPA, wie sie typischerweise in der menschlichen Alltags-Umwelt vorkommen, auf Ratten auswirken, wenn diese vor ihrer Geburt damit in Kontakt kommen. Im Speziellen wollten sie prüfen, ob die hormonähnliche Substanz auch die Fingerlängen der Ratten verändert – als Indikator für weitere, weniger leicht zu erkennende Hormonwirkungen. Auch die Wirkung des in vielen Sojaprodukten enthaltenen Phyto-Östrogens Genistein testeten die Forscher.
Im Experiment bekamen schwangere Rattenweibchen täglich einige Tropfen entweder mit BPA, mit dem Soja-Östrogen oder mit beidem versetztes Maisöl in das Maul geträufelt. Die Konzentration des BPA lag dabei bei 5 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag – und damit unterhalb des sogenannten „no observed adverse effect“- Wertes, bei dem keinerlei schädliche Wirkungen mehr zu beobachten sind. Kontrolltiere erhielten nur das Öl ohne die Zusätze. Nachdem die Jungen dieser Weibchen geboren waren, maßen die Forscher bei dem männlichen Nachwuchs die Finger- (Zehen-)längen.
Verweiblichte Zehenlängen – sogar noch bei den Enkeln
Die Auswertung der Zehenlänge ergab tatsächlich deutliche Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen: Bei den Rattenmännchen, deren Mütter niedrige Dosen BPA und/oder Genistein erhalten hatten, war der „Zeigezeh“ länger, ihr „Ringzeh“ dagegen kürzer. Das Längenverhältnis ähnelte damit mehr dem eines Rattenweibchens als dem eines normalen Rattenmännchens. „Wir liefern damit den ersten Beleg dafür, dass schon der Einfluss sehr niedriger Dosen von hormonell wirksamen Substanzen wie Bisphenol A oder Genistein die Fingerlängen männlicher Ratten verweiblicht“, konstatieren die Forscher.
Dieser Einfluss der Umweltchemikalien war damit aber noch nicht erschöpft: Denn als die Forscher die dem vorgeburtlichen BPA und /oder Genistein ausgesetzten Rattenmännchen mit unbelasteten Weibchen verpaarten, zeigte auch deren männlicher Nachwuchs die verweiblichten Zehenlängen. Die Wissenschaftler vermuten, dass dieser Generationen übergreifende Effekt durch den Einfluss der Chemikalien auf die Keimzellen der ungeborenen Ratten zustande kommt.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass BPA, allein oder in Mischung mit anderen hormonell wirkenden Umweltstoffen, das Epigenom der ersten und zweiten Generation verändert“, so Auger und seine Kollegen. Die Chemikalien könnten demnach beim sich entwickelnden Rattenjungen Anlagerungen an der Erbsubstanz verändert haben, die beeinflussen, ob bestimmte Gene abgelesen werden oder nicht. Nach Ansicht der Forscher ist es durchaus wahrscheinlich, dass diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind. (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2013; doi: 10.1098/rspb.2013.1532)
(Royal Society, 07.08.2013 – NPO)