Das ostantarktische Eisschild galt bisher immer als relativ unempfindlich gegenüber Klimaschwankungen. Doch jetzt hat ein internationales Forscherteam Gegenteiliges nachgewiesen: Auch die Gletscher im kalten Osten des Südkontinents reagieren auf Phasen kühleren oder wärmeren Klimas. Das aber bedeutet, dass auch die vermeintlich so stabile Ostantarktis durch den Klimawandel gefährdeter sein könnte als bisher gedacht, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Das bis zu 4.000 Meter dicke ostantarktische Eisschild galt bisher als eher unempfindlich gegenüber Klimaschwankungen. Denn dort ist es meist extrem kalt, im östlichen Hochland liegt auch der Kältepol der Erde. Selbst an der liegen die Lufttemperaturen meistens weit unter dem Gefrierpunkt, und deshalb tritt nur sehr selten Eisschmelze auf. Die dort ins Meer mündenden Auslassgletscher, schnell fließende Eisströme, durchlaufen eher regelmäßige Zyklen, die man bisher für weitgehend klimaunabhängig hielt.
Eine systematische Analyse des Gletscherverhaltens an der antarktischen Ostküste hat dies nun allerdings wiederlegt. Für ihre Studie untersuchten Chris Stokes von der Durham University und seine Kollegen die Entwicklung von 175 Auslassgletschern Satellitenbilder entlang einer Küstenlänge von 5.400 Kilometern. Sie verglichen dafür Satellitenbilder aus den letzten 50 Jahren.
Schnelle und direkte Reaktion aufs Klima
Dabei zeigte sich: Entgegen bisherigen Annahmen bewegen sich die Gletscher nicht in einem klimaunabhängigen Zyklus. Stattdessen folgen ihre Vorstöße und Rückzüge dem Auf und Ab des Klimas. „Wir haben entdeckt, dass diese Auslassgletscher sehr schnell und direkt auf Schwankungen im Klima reagieren“, erklärt Koautor Andreas Vieli von der Universität Zürich. Das sei überraschend, denn es bedeute, dass das Eisschild stärker einer Erwärmung des Klimas ausgesetzt sei als bisher angenommen.
Eine vertiefte Analyse von Klima- und Gletscherdaten ergab, dass nicht nur die Lufttemperatur die Gletscher beeinflusst. Vielmehr scheinen auch die Verbreitung des Meereises, die atmosphärische Zirkulation und die Ozeantemperatur eine Rolle zu spielen – die im Klimasystem mit der Lufttemperatur gekoppelt sind. Wie die Forscher berichten zeigen die Daten, dass in Zeiten von wärmeren Temperaturen und weniger Meereis mehr Eisberge abbrachen und sich die Gletscher dabei eher zurückgezogen haben. Kühlte das Klima ab, nahm das Meereis zu und auch die Gletscher rückten tendenziell eher vor.
Die Auswertungen ergaben auch, dass der größte Rückgang der Gletscher in der Ostantarktis sich in den 1970er und 80er Jahren ereignete, sie verloren damals bis zu 63 Prozent an Länge. In den 1990er Jahren sorgte eine vorübergehende leichte Abkühlung dafür, dass sich die Eisreisen wieder erholten. Seit dem Jahr 2000 ist der Anteil von vorstoßenden und sich zurückziehenden Gletschern eher ausgeglichen.
Rückkopplungen gefährden auch Inlandeis
Nach Ansicht der Forscher legen die Resultate der Studie nahe, dass bei einer Klimaerwärmung die Auslassgletscher relativ schnell durch einen Rückzug reagieren könnten. Damit könnten sie über dynamische Rückkopplungseffekte, wie zurzeit beobachtet in Grönland, auch das Inlandeis des Ost-Antarktischen Eisschildes angreifen. Dies ist insofern von Bedeutung, als ein hypothetisches totales Verschwinden dieses Eisschildes den Meeresspiegel um mehr als 50 Meter ansteigen lassen würde. Die Forscher mahnen aber, ihre Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren und betonen, dass das Verhalten dieser Auslassgletscher im Zusammenhang mit dem Klima noch genauer untersucht und besser verstanden werden muss. (Nature, 2013; doi: 10.1038/nature12382)
(Universität Zürich, 29.08.2013 – NPO)