Geowissen

Wie groß ist die Gefahr durch Untersee-Erdrutsche?

Submarine Rutschungen könnten auch an Europas Küsten Tsunamis auslösen

Blick von Norden in die Storegga-Rutschung rund 50 Meilen vor der Küste Norwegens, die vor 8100 Jahren den norwegischen Kontinentalrand auf mehr als 300 km veränderte. © Christian Berndt/ GEOMAR

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass durch Erdrutsche unter Wasser schwere Tsunamis ausgelöst werden? Wie werden sie ausgelöst? Diese Fragen sind für die europäischen Küsten entscheidend, denn auch sie sind durch solche submarinen Rutschungen gefährdet. In Kiel haben sich daher in den letzten Tagen 130 Forscher aus aller Welt über diese Naturgefahr ausgetauscht. Dabei ging es unter anderem um die wichtige Frage, welche Hänge gefährdet sind und wie sich das erkennen lässt.

Das Tohoku-Erdbeben und der dadurch ausgelöste Tsunami vor Japan im März 2011 gehören mit zu den größten Naturkatastrophen der vergangenen Jahre. Aber auch weniger starke Beben im Meer oder Erdrutsche unter Wasser – so genannte submarine Hangrutschungen – können zur Überflutung von Küsten oder Zerstörung von Infrastrukturen wie Bohrplattformen, Unterseekabeln oder Pipelines führen. Wie schwerwiegend die Folgen eines solchen Untersee-Erdrutsches sein können, zeigt die Storegga-Rutschung vor rund 7.000 Jahren: Damals sackten mehr als 5.600 Kubikkilometer Sediment an der Kante eines submarinen Plateaus vor Norwegen ab. Die Folge war eine Flutwelle von bis 20 Metern Höhe.

Schwache Lagen als Auslöser

Submarine Hangrutschungen sind auch heute noch eine nicht zu unterschätzende Naturgefahr und können – je nach Größe der Rutschung – mehrere Meter hohe Tsunamis auslösen – mit zerstörerischen Auswirkungen für die dicht besiedelten Küsten und küstennahen Industrieanlagen. Die Ursachen für Rutschungen im Meer sind vielfältig und werden in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Ausgelöst werden submarine Erdrutsche zumeist entlang so genannter „schwacher Lagen“. Das sind Sedimentschichten, die im Vergleich zum umgebenden Meeresboden eine geringe Festigkeit haben. So wie sich ein Schneebrett vom Berg löst, können ganze Hänge im Meer ins Rutschen geraten.

Ablauf und Folgen der Storegga-Rutschung vor Norwegen vor rund 8.000 Jahren.© University of California in Santa Cruz

Über die Auslöser solcher submariner Rutschungen haben in den letzten Tagen mehr als 130 Wissenschaftler diskutiert. Dabei ging es vor allem um die Frage, wann und warum die Hänge abgleiten und welche Rolle Erschütterungen durch Erdbeben spielen. „Während Erdbeben die häufigsten Auslöser für Hangrutschungen sind, bestimmen schwache Lagen vermutlich die Form der Hangrutschungen“, fasst Sebastian Krastel-Gudegast von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Organisator der Konferenz einen Teil der wissenschaftlichen Debatte zusammen. „Noch ist unklar, wie sich die schwachen Lagen genau zusammensetzen und ob sie nur dann schwach sind, wenn sie durch ein Erdbeben zusätzlich belastet werden.“

Lotteriespiel und Bauernregeln

Ein wichtiger Baustein in der Erforschung von Hangrutschungen ist die Entschlüsselung von vergangenen Erdbeben. Die Aufzeichnungen von Messdaten reichen aber nur rund 100 Jahre zurück. Zu kurz, um darauf schließen zu können, in welcher Häufigkeit sich größere Beben in besonders gefährdeten Gebieten wiederholen können. „Vorhersagen, ob und wann ein Erdbeben einen Hang zum Rutschen bringt, gleichen derzeit noch einem Lotteriespiel“, sagt Michael Strasser vom Geologischen Institut an der ETH Zürich. „Mit der nach wie vor geringen Datengrundlage befinden wir uns sozusagen noch im Zeitalter der Bauernregeln.“

Untermeerische Ostflanke des Vulkans Mount Etna auf Sizilien. Erdbeben gehören im Mittelmeer zu den häufigsten Auslösern von Hangrutschungen © Felix Gross/ GEOMAR

Strasser leitete in den vergangenen Jahren die erste Kampagne, die gezielt durch Erdbeben ausgelöste Rutschungen erbohrt hat. Mit neuen Messverfahren und technisch weiterentwickelten Bohrsystemen haben sich der Forscher und seine Kollegen vor allem an die Kontinentalhänge vor Japan gewagt, wo Kontinentalplatten aneinander stoßen und immer wieder Erdbeben ausgelöst werden. „Schon bald erhoffen wir uns wichtige Erkenntnisse darüber, mit welcher Wiederkehrrate Erdbeben Hangrutschungen ausgelöst haben“, sagt Strasser. Der Geologe nimmt wie viele andere Forscher von Bohrschiffen aus Bodenproben, um das Alter und die Schichtung abgerutschter Hänge genauer zu untersuchen.

Doch nicht nur die Gefahren, die von den Hängen ausgehen, wurden in Kiel diskutiert. Hänge sind noch in anderer Hinsicht für die Wissenschaft interessant, denn hier lagern große Mengen an Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas oder Erze voller Metalle. Darüber hinaus lesen Forscher aus den Sedimentschichten die Klimaentwicklungen der Vergangenheit ab. Und auch über die Kreisläufe von Nährstoffen im Ozean geben die Hänge Auskunft.

Die weltweit wichtigste Tagung dieser Art wurde organisiert vom Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ und dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und fand zum ersten Mal in Deutschland statt. Anlässlich der Konferenz erscheint eine Fachpublikation, die den aktuellen Stand der Forschung zusammenfasst.

(Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, 25.09.2013 – NPO)

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