Ein unscheinbarer kleiner Vogel aus dem Amazonasregenwald verblüfft die Forscher: Sein Gesang ist unseren Melodien erstaunlich ähnlich. Er singt von Natur aus perfekte Quinten, Oktaven und anderen harmonische Intervalle – etwas, das noch nie zuvor bei einer Tierart beobachtet wurde. Der Flageolettzaunkönig flötet Passagen, die verblüffende Ähnlichkeit mit Melodien von Bach oder Haydn haben.
Seit langer Zeit spekulieren Philosophen, Kulturwissenschaftler und Naturforscher über den Ursprung menschlicher Musik. Auffallend ist dabei, dass in vielen menschlichen Kulturen sogenannte konsonante Intervalle und Harmonien überwiegen und als angenehm empfunden werden – Tonkombinationen, die unserem Gefühl nach gut zusammenpassen, ruhig und stabil klingen. Solche Harmonien, darunter Terzen, Quinten und Oktaven sind die Grundlage der Tonarten in der Abendländischen Musik.
Passagen wie aus einem Bach-Stück
Nun haben Forscher vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen und des Cornish College of the Arts in den USA verblüffende Parallelen zwischen unserer Musik und dem Gesang des Flageolettzaunkönigs (Cyphorhinus arada) entdeckt. Da die Vögel perfekte konsonante Intervalle wie Oktaven, Quinten und Quarten bevorzugen, zeigt ihr Gesang eine sehr erstaunliche formale Ähnlichkeit mit menschlicher Musik. „Die Vorliebe der Vögel für perfekte Intervalle führt dazu, dass die aufeinanderfolgenden Töne seines Gesangs auf Menschen den Eindruck erwecken, als ob sie einer Tonleiter folgen“, sagt Emily Doolittle vom Cornish College of the Arts.
Tatsächlich fanden die Wissenschaftler im Gesang der Flageolettzaunkönige Passagen, die geradezu verblüffende Ähnlichkeiten mit Motiven haben, die z.B. Bach und Haydn in ihren Kompositionen verwendet haben. Umgekehrt stellten die Forscher fest, dass der Gesang des „Uirapuru“, so der portugiesische Name für den Flageolettzaunkönig, immer wieder in der brasilianischen Musik vorkommt. Der Komponist Heitor Villa-Lobos hat 1917 sogar ein Ballettstück namens Uirapuru geschrieben. Ihm nah verwandten Vogelarten wurden solche Ehrungen nicht zuteil.
Reine Intervalle machen den Gesang musikalisch
Was den Gesang des kleinen Vogels auszeichnet, haben die Forscher unter anderem in einem biopsychologischen Experiment untersucht. Dazu testeten sie die Reaktion von 91 Probanden auf verschiedene mit einem Synthesizer generierte Tonfolgen. Einige davon entsprachen den Intervallen und Abfolgen des Zaunkönigs, andere enthielten zwar die gleichen Töne, deren Reihenfolge war aber durcheinander gewürfelt. Das Ergebnis war eindeutig: Die Melodien der Flageolettzaunkönige wurden von den Probanden als besonders musikalisch empfunden.
“Unsere Befunde erklären, warum diese Vogelart so eine prominente Rolle in der Mythologie und Kunst spielt. Unsere Entdeckung bedeutet aber nicht, dass Vogelgesang generell wie menschliche Musik aufgebaut ist – es gibt ungefähr 4.000 verschiedene Singvogelarten und jede hat ihre eigene Art zu singen, einige sind dabei geradezu unmusikalisch,“ sagt Henrik Brumm, Forschungsgruppenleiter in Seewiesen.
Rätselhaft bleibt, wie die Vögel selbst ihren Gesang wahrnehmen und ob sie ein Konzept von Konsonanz, Tonart oder Motiv haben. Diese Fragen sind besonders im Hinblick auf eine mögliche Evolution menschlicher Musik interessant.
(Max-Planck-Institut für Ornithologie, 17.10.2013 – NPO)