Wir werden ständig von Neutrinos aus dem fernen All bombardiert – das sagte die Theorie schon lange. Erst jetzt aber ist der Nachweis dieser energiereichen, aber unsichtbaren und fast masselosen Teilchen gelungen. Der Teilchendetektor IceCube unter dem antarktischen Eis hat erstmals einige Spuren dieser „Geisterteilchen“ registriert. Damit könnte eine ganz neue Ära der „Neutrino-Astronomie“ beginnen, konstatiert die IceCube-Collaboration im Fachmagazin „Science“.
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Neutrinos sind die häufigsten Elementarteilchen überhaupt und gleichzeitig die geheimnisvollsten. In jeder Sekunde rasen 100 Billionen dieser winzigen Partikel mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch unseren Körper – ohne dass wir auch nur das Geringste davon spüren. Denn diese Elementarteilchen sind unsichtbar, besitzen fast keine Masse und gehen nur äußerst selten eine Wechselwirkung mit anderer Materie ein. Und genau das ist das Problem: Denn um eines dieser seltenen Ereignisse nachzuweisen, sind gigantische Detektoren nötig.
5.160 Detektorkugeln im antarktischen Eis
Das größte dieser Neutrino-Observatorien ist IceCube – ein Detektor, der sich über einen Kubikkilometer antarktisches Eis verteilt. 86 Kabel mit jeweils 60 kugelförmigen Sensoren reichen dort bis tief unter das Eis des Südpols hinab. Jedes dieser insgesamt 5.160 basketballgroßen optischen Module ist darauf geeicht, die winzigen Lichtblitze zu registrieren, die entstehen, wenn ein Neutrino mit einem der Atombausteine des Eises kollidiert.
Allerdings gibt es auch hier ein Problem: Neutrinos strömen nicht nur aus dem All durch die Erde, sie entstehen auch durch energiereiche Teilchenreaktionen in der Atmosphäre. Diese schwächeren Neutrinosignaturen müssen die Forscher erst herausfiltern, um das zu finden, nach dem sie eigentlich suchen: der Spur der mit der kosmischen Strahlung reisenden Geisterteilchen.
„Ernie“ und „Bert“ machten den Anfang
Im April 2012 dann kam ein erster Durchbruch: Zwei Ereignisse im Detektor hinterließen eine ungewöhnlich energiereiche Spur. Die Werte lagen bei gewaltigen 1.000 Teraelektronenvolt (TeV) – und damit mehrere Größenordnungen über dem, was atmosphärische Neutrinos zu erzeugen vermögen. Es musste sich daher um kosmische Neutrinos handeln, so ihr Verdacht.
„Nachdem wir hunderttausende von atmosphärischen Neutrinos beobachtet hatten, hatten wir endlich etwas anderes gefunden- darauf haben wir so lange gewartet“, sagt IceCube-Projektleiter Francis Halzen von der University of Wisconsin-Madison. Die IceCube-Forscher tauften die beiden Neutrinosignaturen liebevoll „Ernie“ und „Bert“. Doch die beiden allein reichten noch nicht aus, um die so flüchtigen kosmischen Neutrinos endgültig nachzuweisen.
Inzwischen aber hat sich dies geändert. Denn die Forscher haben 26 weitere energiereiche Ereignisse entdeckt – wenn auch mit knapp mehr als 30 TeV nicht ganz so heftig wie „Ernie“ und „Bert“. Der Großteil dieser Signaturen erzeugte ein schauerartiges Muster im Detektor, einige wenige aber lösten Teilchenreaktionen aus, die zu relativ schmalen Spuren führten. Alle 28 Neutrinosignaturen zusammen unterscheiden sich so signifikant von der atmosphärischen Variante, dass die Forscher sich nun sicher sind: „Dies ist der erste Hinweis auf sehr hochenergetische Neutrinos, die von jenseits unseres Sonnensystems kommen“, berichtet Halzen.
Woher kommen die Geisterteilchen?
Anhand der Spuren im Detektor versuchten die Wissenschaftler als nächstes herauszufinden, woher im Weltall die kosmischen Teilchen gekommen waren. Denn klar ist bisher nur, dass die Neutrinos ähnlich wie auch der Rest der kosmischen Strahlung bei extrem energiereichen Ereignissen entstehen – quasi in einer Art kosmischem Teilchenbeschleuniger. Dafür aber kommen gleich mehrere Kandidaten in Frage: Gammastrahlenausbrüche, Supernovae, aber auch die gewaltigen Teilchenjets, die die supermassereichen Schwarzen Löcher im Herzen aktiver Galaxien aussenden.
Um dieses Feld einzuengen, versuchten die Forscher, die Flugbahn ihrer 28 Neutrinosignale zurückzuverfolgen. Sollten sie gehäuft einer bestimmten Region des Weltalls kommen, könnte dies dabei helfen, sie einer der potenziellen Quellen zuzuordnen. Leider aber gelang dies nicht. Die Auswertung ergab eine eher zufällige räumliche und zeitliche Verteilung der Ereignisse, wie die Forscher berichten. Mit nur 28 Signalen ist die Anzahl einfach noch zu klein, um Häufungen identifizieren zu können.
„Wir arbeiten jetzt intensiv daran, die Signifikanz unserer Beobachtung zu erhöhen“, erläutert die IceCube-Sprecherin, Olga Botner von der Universität Uppsala. Mit steigenden Nachweiszahlen hoffen die Wissenschaftler dann, einzelne Quellen der energiereichen Neutrinos im Kosmos identifizieren zu können. (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1242856)
(Science / IceCube Collarboation, 22.11.2013 – NPO)