Evolution

Evolution gegen Ozeanversauerung

Studie betont die Bedeutung der Anpassungsfähigkeit von Meeresorganismen

Miesmuschel-Riff in der Kieler Förde © Frank Melzner, GEOMAR

Wasser mit Kohlensäure: Die Ozeane werden immer saurer und setzen damit Meeresorganismen unter Druck. Wie sie sich an die Ozeanversauerung anpassen, spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft mariner Ökosysteme. Mehrere Prognosen dazu liefern bislang nur unklare Ergebnisse. In einer neuen Studie nennt ein internationales Forscherteam einen bisher nicht ausreichend berücksichtigten Faktor: die Evolution.

Steigende Mengen Kohlendioxid in der Atmosphäre sorgen nicht nur für Klimaerwärmung. Das Treibhausgas löst sich auch in Wasser: Es bildet sich Kohlensäure, die den pH-Wert der Meere merklich senkt. Veränderte Lebensbedingungen durch den Klimawandel und die Versauerung der Ozeane stellen eine ernsthafte Bedrohung für viele Lebewesen im Meer dar. Inwiefern die Meeresbewohner dem steigenden Säuregehalt widerstehen können, indem sie sich daran anpassen, ist trotz zahlreicher Studien zum Thema noch weitgehend unklar.

Darwin nicht vergessen!

„Die Ozeanversauerung wird Meeresökosysteme definitiv verändern“, erklärt Thorsten Reusch vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. „Um die Entwicklung besser einschätzen zu können, müssen wir verstehen, wie sich Populationen im Laufe der Zeit an den Wandel anpassen.“ Was für Arten können sich wahrscheinlich anpassen? Wie wirkt sich ihre Evolution auf Wechselwirkungen im marinen Ökosystem aus?

Evolutionsbiologe Reusch hat gemeinsam mit Experten aus Kanada, Australien, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Schweden Antworten auf solche Fragen gesucht. Dazu haben die Wissenschaftler frühere Studien kritisch überprüft, um Ratschläge für zukünftige Untersuchungen geben zu können. „Obwohl Charles Darwin seine Theorie der evolutionären Anpassung vor mehr als 150 Jahren dargelegt hat, ist dieser Aspekt in der Erforschung des Ozeanwandels lange vernachlässigt worden“, so Reusch.

Elektronenmikroskopische Aufnahme der Kalkalge Emiliania huxleyi, einem Vertreter des einzelligen Phytoplanktons © Lennart Bach, GEOMAR

Anpassung einer Art lässt sich beobachten

Bei manchen Arten lässt sich im Labor überprüfen, wie gut sie sich anpassen können: In Evolutionsexperimenten halten Wissenschaftler Organismen unter Bedingungen, die für die Zukunft erwartet werden. Über mehrere Generationen hinweg können sie so testen, ob evolutionäre Veränderungen stattfinden. Eines der auffälligsten Ergebnisse aus derartigen Laborversuchen war, dass kalkbildende Algen, deren Wachstum und Karbonat-Produktion zunächst unter der Ozeanversauerung leidet, ihre Funktionen via Anpassung teilweise wieder herstellen können. Allerdings lassen sich solche Experimente nur mit Arten durchführen, die sich relativ schnell vermehren, beispielsweise mit einzelligem Phytoplankton.

Bei vielzelligen Organismen mit Generationszeiten von einem Jahr oder länger müssen die Wissenschaftler anders vorgehen: Auch innerhalb einer Art sind manche Individuen besser in der Lage als andere, geänderte Bedingungen zu verkraften. Diese haben bessere Überlebenschancen und können ihre Fähigkeiten an ihre Nachkommen vererben. Statt also im Labor die Reaktionen auf die Ozeanversauerung zu prüfen, empfehlen die Autoren, die bereits in einer Art vorhandenen vererbbaren Reaktionen zu erfassen.

„Wenn manche Individuen besser mit einem niedrigen pH-Wert zurechtkommen als andere, müssen wir wissen, wie effizient diese Fähigkeit an Nachkommen weitergegeben werden und wie schnell sich dieses Merkmal in einer Population verbreiten kann“, erklärt Jennifer Sunday von der University of British Columbia in Kanada. Viele Fische und wirbellose Tierarten können sich beispielsweise durch natürliche Selektion anpassen, weil bei ihnen bereits eine große Variation für die Toleranz eines zukünftigen Säuregehalts existiert.

Seeigel im Mittelmeer © Frank Melzner, GEOMAR
Für die Zukunft: tiefergehende Analyse komplexer Gemeinschaften

„Die Auswirkungen auf eine einzelne Art zu verstehen, ist allerdings nur die halbe Miete“, urteilt Piero Calosivon der University of Plymouth in England. Sein Team stellte fest, dass Organismen verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen, in denen sie unterschiedlich auf eine sich verändernde Umwelt reagieren. Sie sind daher je nach Stadium anfälliger und toleranter gegenüber der Versauerung.

Da das evolutionäre Potenzial nicht für alle Arten einzeln beurteilt werden kann, müssen sich künftige Arbeiten strategisch auf die ökologisch oder wirtschaftlich wichtigsten oder auf diejenigen konzentrieren, die sich am besten für Modellrechnungen eignen, rät das Experten-Team. Sam Dupont von der Universität Göteborg blickt in die Zukunft: „All dies ist keineswegs trivial. Aber wir haben gute Beispiele gefunden, die zeigen, dass die Anpassung nicht nur grundsätzlich möglich ist – wir sind jetzt auch bereit, den Prozess tiefergehend zu analysieren.“ (Trends in Ecology and Evolution, 2014; doi: 10.1016/j.tree.2013.11.001)

(GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, 29.01.2014 – AKR)

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