Die Nazca-Linien sind nicht die einzigen ihrer Art: In Südperu haben Forscher weitere Geoglyphen, Hügelbauten und Steinkreise entdeckt, die noch einige Jahrhunderte älter sind. Viele dieser neuen Linien markieren eindeutig die Sonnenwenden. Nach Ansicht der Forscher spricht daher einiges dafür, dass sie dem Andenvolk der Paracas als astronomische Kalender-Markierungen für rituelle Ereignisse und Feste dienten.
Schnurgerade Linien, die sich bis zu 20 Kilometern Länge erreichen, gigantische Figuren von Spinnen, Vögeln oder Affen – die Nazca-Linien im Hochland von Peru gehören zu den bis heute rätselhaftesten Zeugnissen vergangener Kulturen. In der Zeit um 0 bis 600 nach Christus schuf ein in dieser Wüstengegend lebendes Volk diese Geoglyphen, indem sie die oberste Schicht des Untergrunds, den sogenannte Wüstenlack abkratzten. Dadurch kommt darunter helleres Gestein zum Vorschein und die Riesenfiguren heben sich – zumindest aus der Luft betrachtet – deutlich vom restlichen Gelände ab.
Wozu diese Markierungen dienten, ist strittig, ebenso warum sie in diesen gewaltigen Dimensionen angelegt wurden. Die Theorien reichen von Prozessionswegen und rituellen Pfaden über Opferstätten bis hin zu astronomische Markierungen. Für letzteres finden sich allerdings nur wenige Hinweise. Doch es gibt noch weitere, ähnliche Geoglyphen in dieser Andenregion Perus, wie Charles Stanish von der University of California in Los Angeles und seine Kollegen entdeckten.
Hügelbauten, Steinkreise und Ritzlinien
Im Chincha Tal nahe der Küste finden sich ebenfalls Hügelbauten und Geoglyphen. Diese stammen jedoch nicht von den Nazca, sondern von den Paracas, einer Kultur, die von etwa 800 bis 100 vor Christus hier siedelte. Im Laufe der letzten Jahre fanden Forscher bei Ausgrabungen hier 71 Geoglyphen-Linien, die von einer Gruppe von fünf Hügelbauten ausgehen – ähnlich wie Strahlen von einer Sonne. Außerdem dokumentierten sie 353 weitere Zeugnisse dieser alten Kultur, darunter Steinkreise, rechteckige Bauten und bearbeitete Steine.
Datierungen von Keramikresten in einigen Hügelbauten ergaben, dass diese Überreste der Paracas-Kultur aus der Zeit von etwa 400 vor Christus stammen. „Der Chincha-Komplex ist damit um mehrere Jahrhunderte älter als die besser bekannten Nazca-Linien weiter im Süden“, konstatieren Stanish und seine Kollegen. Die auffallende Kombination der Linien mit Hügelbauten und Siedlungsresten erlaube zudem einen tieferen Einblick in den Zweck dieser Anlagen.
Ausrichtung auf Sonnwenden kein Zufall
Nähere Untersuchung der Geoglyphen ergab, dass zwei der U-förmigen Hügel und mehrere parallele Linienpaare und auch V-förmige Linien genau auf die Richtung des Sonnenaufgangs bei der Wintersonnwende ausgerichtet waren. Drei der vier weiteren Liniengruppen markieren den Sonnenaufgang bei der Sommersonnwende, wie die Forscher berichten.
„Wenn es sich hier nur um die Linien handelte, könnte man argumentieren, dass solche Ausrichtungen purer Zufall sein könnten“, sagen die Forscher. „Aber die Kombination der ebenfalls in Ausrichtung auf die Sonnwende errichteten Hügel, Wälle und die Existenz vergleichbarer astronomischer Markierungen anderswo in den Anden machen eine absichtliche Ausrichtung am wahrscheinlichsten.“
Denn im Norden Perus enthüllten Ausgrabungen in Chankillo erst vor einigen Jahren ein ganzes Observatorium aus 13 befestigten Steintürmen, die bestimmte Zeitpunkte im Sonnenkalender markierten. „Chankillo stammt etwa aus der gleichen Zeit wie die hier von uns dokumentierten Paracas-Relikte“, erklären die Forscher. Und auch die Inka markierten die Wintersonnwende in Cusco und im Hochland der Titicaca-Region.
Markierungen für rituelle Ereignisse
Nach Ansicht der Wissenschaftler sprechen diese Funde dafür, dass die Geoglyphen von den Paracas genutzt wurden, um bestimmten Zeiten zu markieren – Zeiten, an denen rituelle Feste oder Versammlungen stattfanden. „Sie markieren aber auch spezielle Orte in der Landschaft, die für diese Ereignisse genutzt wurden – einige heilig, andere nicht“, so Stanish und Co.
„Die Anführer der Siedler in diesem Tal markierten so vielleicht Plätze und Zeiten für rituelle und politische Treffen zwischen Hochlandbewohnern und dem Küstenvolk“, mutmaßen die Forscher. Die Hügel und Linien dienten demnach einerseits als Anzeiger für Versammlungsorte, sie wurden aber vermutlich auch im Rahmen dieser Ereignisse geschaffen – als verbindende, rituelle Handlung. Wie genau diese Rituale und Versammlungen abliefen, ist aber noch unbekannt. (Proceedings of the National aCademy of Sciences, 2014; doi: 10.1073/pnas.1406501111)
(PNAS, 06.05.2014 – NPO)