Physik

Flüssig bei 46 Grad unter Null

Röntgenlaser untersucht Struktur von unterkühltem Wasser

Künstlerische Darstellung eines LCLS-Röntgenlaserblitzes, der einen unterkühlten Wassertropfen trifft. © Greg Stewart/SLAC

Stark unterkühlt, aber noch nicht gefroren: Hochreines Wasser wird auch bei extremer Kälte nicht sofort zu Eis. Ein internationales Forscherteam hat mit ultrakurzen Blitzen aus einem Röntgenlaser erforscht, wie sich die Struktur von flüssigem Wasser Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt ändert. Die Forscher hoffen, mit diesem Forschungsprinzip bald alle einzigartigen Eigenschaften des Wassers zu verstehen.

Wasser gefriert bei Null Grad Celsius zu Eis – so lautet die Faustregel. Die lebenswichtige Flüssigkeit hält sich aber bei weitem nicht immer daran. Wasser hat verglichen mit anderen Flüssigkeiten „ziemlich seltsame Eigenschaften“, wie Anders Nilsson vom US-Beschleunigerzentrum SLAC es ausdrückt. Dazu gehört zum Beispiel die sogenannte Dichteanomalie: Sie ist der Grund, warum festes Wasser eine geringere Dichte hat als flüssiges. Daher schwimmt Eis an der Oberfläche eines zugefrorenen Sees, anstatt auf den Grund zu sinken. Eine relativ hohe Siedetemperatur, große Oberflächenspannung und enorme Wärmekapazität sind weitere herausragende Eigenschaften von Wasser.

Besonders seltsam ist das Verhalten von gefrierendem Wasser: Sehr reines Wasser ohne jegliche Kristallisationskeime kann noch bis weit unter den Gefrierpunkt von Null Grad flüssig bleiben – Physiker sprechen von unterkühltem Wasser. Ob und wie sich die Struktur von extrem kaltem, aber flüssigem Wasser ändert, war jedoch bislang unbekannt. „Es ist zuvor niemals gelungen, verlässliche Strukturinformationen für flüssiges Wasser unterhalb von etwa minus 38 Grad Celsius zu gewinnen“, erläutert Ko-Autor Anton Barty vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL). Denn bei derart kalten Temperaturen bleibt auch unterkühltes Wasser nur für winzige Sekundenbruchteile flüssig, bevor es plötzlich zu Eis gefriert.

Vorstoß ins Niemandsland

Gerade die Temperaturregion von minus 38 Grad bis minus 115 Grad Celsius ist aber für Wissenschaftler besonders interessant: In diesem Bereich nimmt das Wasser eine glasartige, nichtkristalline Form an. Für Experimente war dieser Bereich aber bislang unzugängliches „Niemandsland“. Abhilfe schafft die SLAC-Forschungslichtquelle LCLS: Mit extrem hellen Röntgenlaserblitzen aus dieser Quelle, die nur 50 Billiardstel Sekunden dauern, können die Wissenschaftler bei bis zu minus 46 Grad in den wenigen Millisekunden vor dem spontanen Durchfrieren die innere Struktur des stark unterkühlten Wassers erforschen.

Dazu konstruierten sie einen speziellen Injektor, der winzige Wassertröpfchen in eine Vakuumkammer schießt. Im Vakuum verdampft Wasser von der Tropfenoberfläche, und die Verdunstungskälte kühlt den übrigen Tropfen. Diese Tröpfchen werden dann mit den Röntgenblitzen beschossen. Über die Zeit bis zum Auftreffen des Blitzes auf ein Wassertröpfchen können die Wissenschaftler die Temperatur des Wassers gezielt kontrollieren. Bis minus 46 Grad Celsius konnten sie in diesem Experiment messen. „Wir waren jetzt endlich in der Lage, in diese kalte Zone vorzudringen, die uns neue Informationen über die einzigartige Beschaffenheit von Wasser liefern wird“, betont Nilsson.

Wassermoleküle (links) bilden in unterkühltem Wasser schnell pyramidenförmige Strukturen (rechts). © Greg Stewart/SLAC

Mehr und mehr Innere Ordnung

„Je kälter die Tröpfchen waren, desto mehr hatten bereits Eiskristalle in sich. Ein nennenswerter Teil blieb jedoch komplett flüssig“, berichtet Barty und führt weiter aus: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass unterkühltes Wasser auf einer lokalen Skala mehr und mehr Innere Ordnung gewinnt.“ Die Moleküle bilden also mehr und mehr geordnete Strukturen, anstatt sich wie in einer typischen Flüssigkeit frei zu bewegen. Diese Veränderung läuft kontinuierlich ab und beschleunigt sich stark bei tiefen Temperaturen. Existierende Modelle gehen davon aus, dass sich die Dichte von unterkühltem Wasser an einem bestimmten, kritischen Punkt unter hohem Druck stark ändert. Die Beobachtungen der Forscher decken sich mit dem Modell dieses Phasenübergangs.

Diese Beobachtungen sind allerdings nur ein erster Schritt ins experimentelle „Niemandsland“ des Wassers, wie die Forscher betonen. Nilsson hofft, noch deutlich kältere Temperaturen erreichen zu können, um zu testen, ob die ungewöhnlichen Eigenschaften von Wasser an einem bestimmten Punkt gipfeln. „Unser Ziel ist, diese Dynamik so weit wie möglich zu verfolgen. Letztendlich wird uns das Verständnis der Vorgänge im ‚Niemandsland‘ helfen, Wasser grundsätzlich unter allen Bedingungen zu verstehen.“

(Nature, 2014; doi: 10.1038/nature13266)

(Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, 20.06.2014 – AKR)

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