Evolution

Bandscheiben gehen auf einen Wurmmuskel zurück

Typische Rückenstruktur der Chordatiere ist deutlich älter als gedacht

Die Bandscheiben polstern die Wirbel gegeneinander ab und sind Überbleibsel der Chorda, der namensgebenden Struktur der Chordatiere. © Michael-W. / (CC BY-SA 3.0)

Vom Wurmmuskel zur Bandscheibe: Die Knorpelstruktur entlang des Rückgrats der Wirbeltiere entstand höchstwahrscheinlich aus einem Muskel. Ein Forscherteam hat durch Genanalysen herausgefunden, dass schon simple Ringelwürmer an dieser Stelle einen Muskel besitzen, der der knorpeligen Chorda der Wirbeltiere und ihrer Vorfahren sehr ähnlich ist. Die Wurzeln dieser wichtigen Struktur im Bauplan der Tiere liegen demnach sehr viel tiefer als bisher angenommen, schreiben die Wissenschaftler im Magazin „Science“.

Solange unsere Bandscheiben gesund sind, spüren wir sie kaum. Die knorpeligen Scheiben liegen zwischen den einzelnen Wirbeln der Wirbelsäule und polstern sie wirkungsvoll gegeneinander ab. Entwicklungsgeschichtlich sind die Bandscheiben hochinteressant: Sie sind ein Überbleibsel der sogenannten Chorda. Dieser parallel zum Rückenmark verlaufende Knorpelstab ist namensgebend für die Gruppe der Chordatiere, aus der sich später die Wirbeltiere entwickelten, zu denen aber heute auch noch die Seescheiden oder Lanzettfischchen gehören. Beim menschlichen Embryo ist die Chorda noch vorhanden, im Laufe der Entwicklung bildet sie sich zu den Bandscheiben um und wird Teil des Rückgrats.

Muskelstrang anstelle der Chorda

Bisher nahmen Wissenschaftler an, dass die Chorda erst relativ spät in der Entwicklungsgeschichte entstand, als sich die Chordatiere von ihren nächsten Verwandten abspalteten. Zu diesen Verwandten ohne Chorda zählen unter anderem auch Seesterne und Seeigel. Forscher um Detlev Arendt vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg stellen diese Sichtweise nun in Frage: Sie untersuchten die genetische Signatur der Chorda, also die Kombination von Genen, die zur Ausbildung einer gesunden Chorda angeschaltet sein müssen.

Überraschenderweise fanden sie genau diese Signatur in Larven des marinen Ringelwurms der Art Platynereis. Mit Hilfe modernster Mikroskopie beobachteten sie, dass die Zellen mit der Chorda-Signatur in den Wurmlarven, einen Muskel bilden, der entlang der Mittellinie des Tieres verläuft – zwar ein Muskel und kein Knorpel, aber dennoch genau dort, wo sich bei einem Chordatier die Chorda befände. Die Ringelwürmer gehören jedoch einem gänzlich anderen Zweig im Stammbaum der Tiere an, der sich noch wesentlich früher von sowohl Chordatieren als auch dem „Seesternzweig“ trennte.

Position des Axochord-Muskels beim Ringelwurm Platynereis.© emblmedia

Den gefundenen Muskel bezeichnen die Wissenschaftler als „Axochord“. Sie halten nun für möglich, dass zumindest diese Chorda-ähnliche Struktur noch wesentlich häufiger auftreten könnte, nicht bloß bei den danach benannten Chordatieren. „Bisher hat sich die Wissenschaft lediglich um unsere direkten Verwandten gekümmert“, so Studienleiter Arndt. „Dadurch wurden wir jedoch möglicherweise in die Irre geführt, falls die Struktur doch schon früher auftrat und lediglich eine einzelne Gruppe sie verloren hat.“

Der marine Ringwurm Platynereis besitzt einen Muskel (rot), der sich an derselben Stelle ausbildet und dieselbe genetische Signatur besitzt wie die Chorda (blau), aus der sich unsere Bandscheiben entwickeln. © Kalliopi Monoyios

Chorda-ähnliche Struktur bereits bei sehr frühen Vorfahren

Weitere Suche, sowohl in Experimenten und beim Durchforsten bereits veröffentlichter wissenschaftlicher Literatur, stellte sich heraus: Die meisten Tiergruppen, die sich im Tierstammbaum zwischen dem Ringelwurm Platynereis und den Chordatieren befinden, weisen ebenfalls eine ähnliche, muskelbasierte Struktur in derselben Position auf. Die Axochord-Struktur trat den Forschern zufolge offenbar bereits bei einem unserer sehr frühen Vorfahren auf, noch bevor sich die verschiedenen Tiergruppen in ihre jeweiligen Evolutionspfade aufspalteten.

Dieses Szenario könnte auch eine Eigenheit des Lanzettfischchens erklären: Dieses „primitive Chordatier“ besitzt eine Chorda aus sowohl Knorpel- als auch Muskelgewebe.

Zwar könnte sich dieser Muskel völlig unabhängig entwickelt haben, wahrscheinlicher ist jedoch, dass es sich hierbei um einen lebenden Beweis für den Übergang von der auf einem Muskel basierenden Mittellinie hin zu einer Chorda aus Knorpel handelt. Diese Entwicklung vom Muskel hin zum Knorpel vollzog sich wahrscheinlich deshalb, weil ein fester und versteifter Mittelstab nach Meinung der Wissenschaftler das Schwimmen effizienter machte.

(Science, 2014; doi: 10.1126/science.1253396)

(European Molecular Biology Laboratory, 15.09.2014 – AKR)

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