Fatale Anziehung: Weht nur wenig Wind, werden Windanlagen für baumbewohnende Fledermäuse zur tödlichen Falle. Denn die Tiere verwechseln die Windräder dann mit hohen Bäumen und fliegen sogar absichtlich darauf zu. Das zeigt ein Freiland-Experiment von US-Forschern. Diese Reaktion der Fledermäuse könnte erklären, warum so viele Fledermäuse an Windanlagen sterben – aber auch helfen, dies in Zukunft zu verhindern.
Jedes Jahr sterben tausende von Fledermäusen in Europa und den USA durch Kollisionen mit den rotierenden Flügeln von Windanlagen. Untersuchungen zeigen, dass rund drei Viertel der toten Tiere zu baumbewohnenden Fledermausarten gehören. Für diese Arten, darunter den Großen Abendsegler (Nyctalus noctula), sind große, hohe Bäume ein wichtiger Lebensraum, aber auch eine Quelle von Nahrung und ein Ort, um Artgenossen zu treffen, beispielsweise zur Paarung. Sie neigen daher dazu, solche Bäume gezielt anzufliegen.
Fledermäuse unter Beobachtung
Schon länger vermutet man, dass dieses Verhalten auch der Grund für die vielen Todesfälle an Windanlagen sein könnte: Möglicherweise verwechseln die Fledermäuse die hoch aufragenden Windräder schlicht mit Bäumen. Paul Cryan vom US Geological Survey in Fort Collins und seine Kollegen haben diese Theorie nun in einem Freilandexperiment überprüft – und bestätigt.
Für ihr Experiment statteten sie eine kleine Windanlage im Nordwesten des US-Bundesstaats Indiana mit automatischen Nahinfrarot-Kameras, Ultraschall-Mikrophonen, Radarmessgeräten und thermischen Überwachungskameras aus. 163 Nächte lang beobachteten sie mit diesen Instrumenten, wie sich Fledermäuse in der Nähe der Windräder verhielten. Um den Einfluss der Rotoren zu prüfen, ließen die Forscher diese in einigen Nächten trotz Wind komplett anhalten, in anderen aber normal rotieren.
Gezielte Annäherung
Das Ergebnis: Die Fledermäuse wurden nicht zufällig von den Turbinen erfasst, sondern bewegten sich meist aktiv auf diese zu. In 88 Prozent der Fälle flogen die Tiere auf die Windräder zu und änderten dafür sogar ihren vorherigen Kurs, wie die Forscher berichten. Die Fledermäuse flatterten teilweise längere Zeit in der Nähe des Turms und der Gondel herum, einige führten Bögen und Sturzflüge in Richtung der Turbinen aus. Meist näherten sich die Tiere den Windrädern dabei auf der windabgewandten Seite. Vögel und andere Wirbeltiere schienen die Anlagen dagegen eher zu meiden.
„Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Fledermäuse von den Windanlagen angezogen werden und sich aktiv darauf zu bewegen“, konstatieren Cryan und seine Kollegen. „Die einfachste Erklärung für diese Annäherungen ist, dass die Tiere in dem, was sie für Bäume halten, nach Höhlen und anderen Verstecken suchen, vielleicht auch nach Insekten oder Paarungspartnern.“
Mit Bäumen verwechselt
Die Videoaufnahmen zeigten zudem, dass die Windräder immer dann besonders anziehend auf die Fledermäuse wirkten, wenn der Wind nur schwach wehte und sich die Rotorblätter nur langsam oder gar nicht bewegten. Nach Ansicht der Forscher könnte dies daran liegen, dass die Windanlagen unter diesen Bedingungen Luftströmungen erzeugen, die denen hoher Bäume relativ ähnlich sind. Weht mehr Wind und drehen sich die Rotorblätter schneller, entstehen dagegen Verwirbelungen, die keinerlei natürliche Entsprechung haben.
Aber auch optisch lassen sich die Fledermäuse offenbar von den Windanlagen täuschen: „Auf fundamentaler Ebene scheinen Fledermäuse Windturbinen nicht von Bäumen unterscheiden zu können“, erklären die Forscher. Beide Strukturen ähneln sich im Aussehen ein wenig, weshalb auch in mondhellen Nächten viele Fledermäuse ihnen in die „Falle“ gehen: Beide haben einen hohen, zylindrischen Stamm, erweitern sich oben zu einer Art Krone und besitzen seitlich herausragende Fortsätze.
Es geht auch anders
Nach Ansicht der Forscher zeigen ihre Ergebnisse aber auch, wie sich die vielen Todesfälle von Fledermäusen an Windrädern in Zukunft vermeiden ließen: Da die Tiere vor allem bei wenig Wind von den angezogen werden und dann mit den sich drehenden Rotoren kollidieren, wäre es ihrer Ansicht nach ratsam, Windanlagen bei niedrigen Windgeschwindigkeiten ganz abzuschalten. Wichtig sei dabei aber auch, diese Ruheperioden mit genügend Toleranz auszustatten, damit die Rotoren nicht bei jeder kleinen Windböe wieder anlaufen:
„Fledermäuse bleiben oft Minuten bis sogar Stunden in der Nähe stehender Windräder – frischt dann der Wind plötzlich auf, geraten sie in Gefahr, von den sich nun drehenden Rotoren getroffen zu werden“, erklären die Wissenschaftler. Helfen könnte es auch, das Aussehen der Windanlagen zu verändern. So zeigte eine Untersuchung in Texas, dass unter Windrädern mit blinkenden roten Warnleuchten weniger tote Fledermäuse gefunden wurden als unter nicht beleuchteten. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2014; doi: 10.1073/pnas.1406672111)
(PNAS, 30.09.2014 – NPO)