Unnötig und unwirksam: Viele Ärzte verschreiben nach wie vor Antibiotika auch gegen normale, von Viren verursachte Erkältungen. Wie US-Forscher festgestellt haben, ist die Neigung zu dieser falschen Verschreibungspraxis umso größer, je später es am Tag ist. Offenbar schlaucht der Praxisalltag die Ärzte so sehr, dass sie nachmittags gerne mal zu einfachen, aber nutzlosen Lösungen greifen.
Die meisten Erkältungen werden nicht von Bakterien verursacht, sondern von Viren. Deshalb hilft es auch wenig, diese Infektionen mit Antibiotika zu behandeln. Dennoch geschieht dies immer noch viel zu häufig: Hausärzte verschreiben die Tabletten aus alter Gewohnheit – und auch, weil viele Patienten dies von ihnen erwarten. Doch langfristig ist dies fatal, denn ein zu häufiger und unsachgemäßer Einsatz von Antibiotika gilt als eine der Hauptursachen für die Bildung resistenter Keime.
Schwerpunkt am Nachmittag
Wann Ärzte besonders anfällig für diese Fehlentscheidung sind, haben Jeffrey Linder vom Brigham and Women’s Hospital (BWH) in Boston und seine Kollegen nun näher untersucht. Sie analysierten dafür die elektronischen Abrechnungs- und Krankendaten von 23 Gesundheitszentren im Laufe von 17 Monaten. Für mehr als 21.000 Patientenbesuche werteten sie die Diagnosen, Besuchszeiten und Verschreibungen aus und untersuchten dabei besonders, wann wofür Antibiotika verschrieben wurden.
Das interessante Ergebnis: Je später am Tag ein Patient zum Arzt kam, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass er ein Antibiotikum erhielt – auch wenn es medizinisch nicht sinnvoll war wie beispielsweise bei einer simplen Erkältung. „Selbst wenn wir die individuellen Unterschiede zwischen den Ärzten berücksichtigten und die Diagnosen, war es noch immer so, dass die Ärzte nachmittags mehr dazu neigten, Antibiotika zu verschreiben als vormittags“, berichtet Linder.
Zu ausgelaugt für richtige Entscheidungen?
Der Grund dafür ist nach Ansicht der Forscher schlicht Erschöpfung: „Die klinische Praxis ist sehr fordernd und die Ärzte werden im Laufe des Tages einfach ausgelaugter“, so Linder. Dadurch scheinen einige den Erwartungen ihrer Patienten eher nachzugeben oder es sich vielleicht auch einfach zu machen. Zwar waren es am Nachmittag nur rund fünf Prozent mehr Patienten, die unnötige Antibiotika erhielten, aber jeder unnötige Einsatz dieser Mittel kann das Risiko für Resistenzbildungen erhöhen.
As aber könnte gegen diese Tendenz helfen? „Einfache Lösungen für dieses Problem könnten schon veränderte Arbeitszeiten, kürzere Schichten, mehr Pausen oder vielleicht sogar ein Snack zwischendurch sein“, so Linder. Die Forscher wollen nun in weiteren Untersuchungen noch genauer klären, wo genau die Wurzeln dieses Verhaltens bei den Ärzten liegen und austesten, wie sich dies ändern lässt. ( JAMA Internal Medicine, 2014)
(Brigham and Women’s Hospital, 07.10.2014 – NPO)