Astronomie

Erste 3D-Karte des frühen kosmischen Netzwerks

Blick auf kosmische Filamente drei Milliarden Jahre nach dem Urknall

Nahaufnahme eines Ausschnittes aus der dreidimensionalen Karte des kosmischen Netzes. Die Farben repräsentieren die Dichte des Wasserstoffgases in den Filamenten, wobei hellere Farben für höhere Dichten stehen. © Casey Stark (UC Berkeley) und Khee-Gan Lee (MPIA)

Stürmische Jugendzeit des Universums: Astronomen haben die erste 3D-Karte von Großstrukturen im fernen Universum erstellt. Sie zeigt die Anordnung der kosmologischen Filamente rund drei Milliarden Jahre nach dem Urknall. Die Rekonstruktion dieses frühen kosmischen Netzes gelang mit einer Technik, die vor kurzem noch als Zukunftsmusik galt.

Die größten bislang vom Menschen erfassten Strukturen im Universum sind die kosmischen Filamente: Ein gigantisches Netzwerk von Materie-Strängen, das sich über hunderte von Millionen von Lichtjahren ausdehnt. Die Filamente in diesem kosmischen Netz bestehen vor allem aus Dunkler Materie und großen Mengen von urtümlichem Wasserstoffgas, das noch direkt aus der Urknallphase des Kosmos stammt. Auch Galaxienhaufen wie unsere Heimat mit der Milchstraße finden sich auf den Filamenten – als vergleichsweise winzige Tupfer auf den Strängen, vor allem aber an den Knotenpunkten.

Galaxien-Licht statt Röntgenstrahlen

Ein Team von Astronomen unter der Leitung von Khee-Gan Lee vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg hat nun eine dreidimensionale Karte einer großen Teilregion dieses kosmischen Netzes erstellt. Dies gelang mit einer Methode ähnlich der medizinischen Computertomographie: Anstatt einen menschlichen Körper mit Röntgenstrahlen zu durchleuchten, verwendeten sie das Licht weit entfernter Galaxien im Hintergrund, welches den Wasserstoff der kosmischen Filamente von hinten durchleuchtet. Dies gelang bisher nur mit dem vergleichsweise starken Licht eines Quasars.

Darstellung der kosmischen Tomographie-Technik: Licht (gelbe Pfeile) von fernen Hintergrundgalaxien trifft auf seinem Weg zur Erde auf Wasserstoff-Gaswolken, die charakteristische Spuren im Spektrum des Lichts hinterlassen. © Khee-Gan Lee (MPIA) und Casey Stark (UC Berkeley)

Das gesammelte Sternenlicht ferner Galaxien dafür zu nutzen, galt dagegen in der Astronomie lange als Zukunftsmusik gegolten, weil man annahm, dass die Lichtintensität nicht ausreichen würde. Doch Lee rechnete ausd, dass es auch mit heutigen Teleskopen gelingen konnte. „Ich war überrascht, als sich zeigte, dass bereits heutige Teleskope hinreichend viel Licht ferner Galaxien sammeln können sollten, um diese Art von Absorptionskarte zu erstellen – wenn auch mit geringerer Auflösung als zukünftige Teleskope der nächsten Generation“, sagt Lee.

Strukturen in der „wilden Jugend“

Die Karte, die dabei herauskam, zeigt einen dreidimensionalen Ausschnitt unseres Universums in einer Entfernung von elf Milliarden Lichtjahren – das erste Mal, dass das kosmische Netz in so großer Entfernung kartiert werden konnte. Durch die große Distanz sehen wir die Region zu einer Zeit, als das Universum nur etwa ein Viertel so alt war wie heute, rund drei Milliarden Jahre nach dem Urknall. Dies bietet den Astronomen einen Blick in eine Art „wilder Jugendzeit“ des Universums, inklusive Wachstumsschub der Galaxien, die damals besonders viele neue Sterne bildeten.

In der Karte erkennbare Strukturen ziehen sich über Millionen von Lichtjahren hinweg und machen den Astronomen Lust auf mehr – genauer: auf umfangreichere Kartierungen. Diese sollen dann nicht nur die Struktur des kosmischen Netzes zeigen, sondern auch seine Funktionsweise verstehen lassen: die Wege, auf denen urtümliches Wasserstoffgas entlang der Stränge des kosmischen Netzes in die Galaxien gelangt. Dort dient es schließlich als Rohmaterial für das Galaxienwachstum, insbesondere für die Entstehung von Sternen und Planeten.

Dreidimensionale Karte des kosmischen Netzes in einer Entfernung von 10,8 Milliarden Jahren von der Erde. Die Farben zeigen die Dichte des Wasserstoffgases, hellere Farben stehen für höhere Dichten. © Casey Stark (UC Berkeley) und Khee-Gan Lee (MPIA)

Spektakuläre Daten trotz schlechtem Wetter

Vermessen haben Lee und Kollegen diesen Teil der kosmischen Filamente an einem der größten Teleskope der Welt: Dem zehn Meter großen Keck-I-Teleskop auf dem Mauna Kea auf Hawaii. Die Bedingungen waren zunächst jedoch alles andere als günstig: „Wir waren sehr enttäuscht – das Wetter war schrecklich, und wir konnten nur wenige Stunden lang gute Daten sammeln“, beschreibt Joseph Hennawi vom MPIA. „Aber bereits beim ersten Blick auf die Daten, die uns das Teleskop geliefert hatte, war mir klar, dass unser Experiment funktionieren würde.“

Selbst mit nur vier Stunden Beobachtungszeit waren die aufgenommenen Daten spektakulär: Die Absorptionsmessungen von 24 schwachen Hintergrundgalaxien deckten einen kleinen Fleck Himmel so vollständig ab, dass sie sich zu der dreidimensionalen Karte des kosmischen Netzes zwischen Hintergrundgalaxien und Beobachtern kombinieren ließen.

Dies ging allerdings nicht ohne großen Rechenaufwand, eine Schlüsselrolle hatte daher der bei der Analyse verwendete Algorithmus: Hätten die Astronomen bei dieser großen Datenmenge einfach so losgerechnet, wäre die Rechenzeit enorm gewesen. Mit einem speziell auf das Problem zugeschnittenen Algorithmus jedoch ließ sich die Karte innerhalb von Minuten erstellen, wie Entwickler Casey Stark von der University of California in Berkeley berichtet: „Eine Rechnung, die wir vorher auf einem Supercomputer hätten laufen lassen müssen, lief auf einmal auch auf einem Laptop.“

(Astrophysical Journal Letters, 2014; arXiv:1409.5632)

(Max-Planck-Institut für Astronomie, 16.10.2014 – AKR)

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