Soforthilfe bei Überdosis: Winzige Membranbläschen können Giftstoffe in sich einschließen und aus dem Blut entfernen. Damit lassen sich auch Patienten mit einer Medikamenten-Überdosis behandeln, berichten Wissenschaftler aus der Schweiz. Mit der bereits bei Nierenpatienten etablierten Bauchfelldialyse werden die maßgeschneiderten Nanobläschen schonend und vor allem schnell in den Körper und wieder hinaus befördert.
Allein in den USA werden rund 2,5 Millionen Menschen pro Jahr mit einer Überdosis in die Notaufnahmen der Krankenhäuser eingeliefert. Häufig handelt es sich dabei um Medikamente wie Betablocker, Antidepressiva, Barbiturate und Antipsychotika wie Haloperidol, aber auch Kokain und andere Opiumderivate kommen vor. Doch nur für sehr wenige dieser Wirkstoffe gibt es spezifische Gegenmittel, die diesen unschädlich machen, ein Beispiel ist Naloxon gegen Opioide. „Notfall-Mediziner müssen daher im Ernstfall auf unspezifische Maßnahmen wie Magenspülungen oder Aktivkohle zurückgreifen, doch diese sind nur mäßig effektiv“, erklären Vincent Forster von der ETH Zürich und seine Kollegen.
Aufnahme statt Abgabe
Sie suchten daher nach Methoden, mit denen die giftigen Wirkstoffe schneller und effektiver aus dem Körper eines Patienten entfernt werden können. Ausgangspunkt waren dabei spezielle Liposomen: Maßgeschneiderte, nur ein paar hundert Nanometer große Bläschen, deren Innenraum von einer Doppelmembran aus Fettsäuremolekülen eingeschlossen ist. Solche Liposomen werden schon seit längerem in der Pharmazie als Wirkstofftransporter eingesetzt, wie die Forscher berichten. Denn über den pH-Gradient der Membran lässt sich regulieren, wie schnell und wo das Bläschen seine Fracht abgibt.
Dass dieser Prozess auch umgekehrt funktioniert – Aufnahme statt Abgabe – hatten Forster und seine Kollegen bereits vor kurzem in einer Vorstudie festgestellt. Injizierten sie Ratten mit einer Überdosis Liposomen mit einem speziellen pH-Gradienten, dann nahmen diese die Droge selektiv aus dem Blut auf und kapselten sie ein. Periphere Gewebe blieben so geschützt.
Indirekte Blutwäsche mit Liposomen
Allerdings: Um giftige Wirkstoffe effektiv zu beseitigen, müssen auch die Liposomen wieder möglichst vollständig aus dem Körper des Betroffenen entfernt werden. Zu diesem Zweck haben die Forscher nun ihre Liposom-Methode mit der bei Nierenpatienten bereits etablierten Bauchfell-Dialyse kombiniert. Bei dieser Methode wird über einen Katheter eine Spüllösung in den Bauchraum gefüllt. Über das stark durchblutete Bauchfell gelangen dann Giftstoffe aus dem Blut in diese Flüssigkeit, die nach 30 Minuten bis einigen Stunden durch einen zweiten Katheter wieder abgepumpt wird. Das Ganze ist damit eine Art indirekter Blutwäsche.
Forster und seine Kollegen ergänzten für ihre Versuche die normale Spülflüssigkeit mit den Liposomen. Mit Ratten testeten sie, wie gut und schnell diese Liposomen-Dialyse eine hohe Dosis verschiedener giftiger Wirkstoffe aus dem Blut der Tiere entfernen konnte. Das Ergebnis war vielversprechend: Bei dem Herzmittel Verapamil, gegen das es bei Überdosierung kein Gegenmittel gibt, absorbierten die Liposomen im Laufe von acht Stunden 90 Prozent der Dosis. „Am erstaunlichsten war dabei die Schnelligkeit, mit der die Behandlung den gefäßerweiternde Wirkung des Medikaments aufhob“, berichten die Forscher. Schon drei Stunden der Bauchfelldialyse mit den Liposomen reichten aus, um den gefährlich abgesackten Blutdruck der Ratten wieder zu normalisierten.
Schonende und schnelle Entgiftung
Ähnlich effektiv war das Verfahren auch bei anderen Wirkstoffen wie Betablockern, Haloperidol, Phenobarbital oder Amitriptylin, einem Antidepressivum. Sogar eine Überdosis körpereigener Substanzen wie Ammonium ließ sich damit schonend und schnell aus den Versuchstieren entfernen. Ein solcher Ammoniumüberschuss tritt in seltenen Fällen bei Neugeborenen mit einer Stoffwechselstörung auf.
Nach Ansicht der Forscher stellt diese Methode damit eine wertvolle Ergänzung für die Entgiftung von Patienten mit einer Überdosis dar. „Durch die einfache Möglichkeit, die Flüssigkeit am Ende der Behandlung wieder aus dem Körper zu entfernen und die biologische Abbaubarkeit der Liposomen hat dieses System höchstes Potenzial für die Notfallmedizin“, so Forster und seine Kollegen. Als nächstes müsse man nun Methoden entwickeln, um die mit Liposomen versetzte Spülflüssigkeit in großem Maßstab steril herstellen zu können.
(Science Translational Medicine, doi: 10.1126/scitranslmed.3009135)
(Forster et al., ETH Zürich, 17.10.2014 – AKR)