Er hatte ein schnabelähnliches Maul, gigantische Pranken, ein auffallendes Rückensegel und watschelte wie Jar Jar Bings: Ein in der Wüste Gobi entdecktes Skelett erweist sich als einer der bizarrsten Dinosaurier, die jemals gefunden wurden. Denn er ist ein Mischmasch scheinbar willkürlich zusammengewürfelter Körpermerkmale. Gleichzeitig aber beendet der Fund ein 50 Jahre dauerndes Rätselraten, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
1965 machte eine polnisch-mongolische Expedition in der südlichen Wüste Gobi einen erstaunlichen Fund: In der rund 70 Millionen Jahre alten Nemegt-Formation fanden sie die Knochen zweier gigantischer Vorderbeine eines Dinosauriers. Mit einer Länge von 2,4 Metern waren diese die längsten jemals bei einem zweibeinig laufenden Tier entdeckten. Kein Wunder also, dass dieser Dinosaurier Deinocheirus mirificus getauft wurde – „ungewöhnliche Schreckenshand“.
Leider war außer den riesigen Armen von dieser Kreidezeit-Echse nichts erhalten. Wie dieser Dinosaurier aussah und zu welcher Gruppe er gehörte, blieb daher rätselhaft. Einige hielten ihn für einen Allosaurus-ähnlichen Fleischfresser, andere für einen Faultier-ähnlichen Pflanzenfresser. Die meisten Paläontologen aber ordneten die rätselhafte „Schreckenshand“ eher einer Gruppe von straußenähnlichen Dinosauriern zu, den Ornithomimosauriern – aber auch ihnen fehlten die Belege für eine endgültige Zuordnung.
Ein echter Riese
Jetzt enthüllt der Fund eines fast vollständigen und eines Teilskeletts endlich die wahre Gestalt dieses Dinosauriers. Beide Fossilien wurden ebenfalls in der Nemegt-Formation der Wüste Gobi entdeckt. Yuong-Nam Lee vom Korea Institute of Geoscience and Mineral Resources in Daejeon und seine Kollegen haben die Skelette untersucht und so erstmals einen Eindruck darüber gewonnen, wie dieser Dinosaurier zu Lebzeiten ausgesehen hat.
„Wie eigenartig Deinocheirus tatsächlich war, darauf waren wir nicht vorbereitet“, sagen die Forscher. Zum einen war die „Schreckenshand“ ungewöhnlich groß: Wie Messungen zeigen, erreichte Deinocheirus eine Körpergröße von elf Metern und ein Gewicht von gut sechs Tonnen. Er ist damit der größte und schwerste bekannte Vertreter der Ornithomimosaurier. Lee und seine Kollegen vermuten, dass dieser Riesenwuchs dem Deinocheirus dabei half, in einem Gebiet zu überleben, in dem es gleich mehrere große Fleischfresser gab.
Bizarr zusammengewürfelt
Darüberhinaus aber wirken Körper und Schädel des Deinocheirus wie willkürlich aus nicht zusammenpassenden Einzelteilen zusammengesetzt: So besaß er ein Rückensegel ähnlich wie der Spinosaurus, seine breite, zahnlose Schnauze ähnelte aber eher der eines Entenschnabel-Dinosauriers. Ungewöhnlich sind auch die Füße der „Schreckenshand“, wie die Forscher berichten: Sie enden in hufähnlich verkürzten Zehen ähnlich wie bei heutigen Elefanten.
„Ein so einzigartiger Fuß ist unseres Wissens nach noch von keinem anderen theropoden Dinosaurier berichtet worden“, konstatieren Lee und seine Kollegen. Die kurzen, massigen Füße und dicken Beinknochen sprechen ihrer Ansicht nach dafür, dass Deinocheirus im Gegensatz zu anderen eher schnellen und wendigen Ornithomimosauriern ein eher schwerfälliger, sich nur langsam bewegender Geselle war.
Allesfresser im Feuchtgebiet
Die neuen Funde geben auch erste Hinweise darauf, wie der Deinocheirus lebte und wovon er sich ernährte. So entdeckten die Forscher im Bauch eines der Fossilien Überreste von Fischen. Gleichzeitig aber deutet die schnabelähnliche Schnauze auch auf eine pflanzliche Nahrung hin: Ähnlich wie heutige Enten gründelte der Dinosaurier mit diesem breiten Schnabel wahrscheinlich nach organischem Material in Tümpeln und anderen Gewässern.
„Die langen Vorderbeine mit den großen Klauen könnten ihm zudem zum Graben und Einsammeln von krautigen Pflanzen gedient haben“, vermuten die Forscher. Deinocheirus war ihrer Ansicht nach daher eher ein Allesfresser, der in der feuchten, durch mäandrierende Flussarme geprägten Umgebung reichlich Futter fand.
Noch sind längst nicht alle Details zu der „Schreckenshand“ und ihrer Lebensweise enträtselt. Doch sein Fall macht schon jetzt eines sehr klar, wie die Forscher betonen: Die Rekonstruktion ausgestorbener Tiere auf Basis von unvollständigen Fossilien hat ihre Tücken. Selbst wenn man glaubt, aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse genau zu wissen, wie der Rest des Tieres aussehen muss, kann dies ziemlich daneben gehen. (Nature, 2014; doi: 10.1038/nature13874)
(Nature, 23.10.2014 – NPO)