Getreidezucht vor 10.000 Jahren: Forscher haben aufgeklärt, warum unsere Vorfahren ausgerechnet Weizen und Gerste kultivierten – und nicht eines der anderen reichhaltigen Wildgräser. Der Grund: Beide Getreide haben größere Samen und eine schlankere Form. Dadurch eignen sie sich besser dafür, dicht gedrängt auf einem Feld zu wachsen. Diese Erkenntnisse könnten auch dabei helfen, zukünftige Getreidesorten widerstandsfähiger und ertragreicher zu machen.
Bereits vor etwa 10.000 Jahren begannen die Menschen in den Gebieten des fruchtbaren Halbmonds mit dem Anbau von Getreide. Das Land zwischen Euphrat und Tigris, aber auch der Jordan und die Mündung des Nil boten günstige Bedingungen für die Landwirtschaft. In der „Wiege der Zivilisation“ gingen die Menschen nicht nur vom Sammeln zum Anbau über – sie züchteten auch die ersten Getreidesorten. Weizen und Gerste, die für uns heute ein Grundnahrungsmittel sind, gehen bis auf die damalige Zeit zurück.
Vorteile im Feldanbau
Warum jedoch wählten die ersten Landwirte aus der großen Menge der Gräser im fruchtbaren Halbmond gerade diese Arten für die Kultivierung? Catherine Preece von der Universität Sheffield und ihre Kollegen wollten wissen, durch welche Eigenschaften sich manche Gräser besser für die Landwirtschaft eignen als andere. Dazu pflanzten sie im Treibhaus Gräser aus dem Gebiet des fruchtbaren Halbmonds darunter auch wilden Weizen und wilde Gerste an. Dann verglichen sie die erhaltene Ausbeute an essbaren Samen sowie die Wuchsform der angebauten Pflanzen.
Die Ergebnisse waren zunächst überraschend: „Viele der Pflanzen, die unsere Vorfahren aßen, produzieren genauso viel Samen wie Wildweizen und -gerste.“ Daher reichten sie als Nahrungsquelle für die damaligen Sammler völlig aus. Für erfolgreiche Landwirtschaft ist jedoch entscheidend, Pflanzen in hoher Dichte auf einem Feld anbauen zu können. Und genau dabei stechen die Vorteile von Weizen und Gerste hervor.
Große Samen, wenig Stiele
Die Wissenschaftler identifizierten zwei wichtige Eigenschaften, welche den Wildsorten der heute angebauten Getreide Vorteile im Wettbewerb mit anderen Gräsern liefern: Erstens sind ihre Samenkörner größer – dadurch können sie zu größeren Keimlingen heranwachsen und erhalten schnell eine größere Menge an Licht und Nährstoffen. Zweitens sind sie weniger buschig als andere Gräser und verteilen ihre Körner auf weniger Stiele. Dadurch benötigen sie weniger Platz und stehen weniger unter Konkurrenzdruck mit anderen in der Nähe wachsenden Pflanzen. Für den dichten Anbau auf einem Feld sind sie so durch diese Vorteile viel besser geeignet.
Diese Ergebnisse sind auch für die heutige Landwirtschaft wichtig: Das stetige Bevölkerungswachstum erfordert in Zukunft mehr und mehr Nahrung. „Um die Zukunft zu formen, müssen wir die Vergangenheit verstehen“, sagt Preece. „Je mehr wir über die Ursprünge der Landwirtschaft herausfinden, desto mehr Informationen haben wir für die Probleme der modernen Produktion von Nahrungsmitteln.“
Neue Eigenschaften aus alten Sorten?
Dabei könnten die Gras- und Getreidesorten aus der Anfangszeit der Landwirtschaft helfen. Denn bevor die Menschen den Getreideanbau erlernten, stand eine viel größere Vielfalt verschiedener Gräser auf ihrem Speiseplan. Darunter könnten sich auch Kandidaten mit guten Eigenschaften für neue Züchtungen befinden – nötig ist jedoch das Wissen, was eine gute Nutzpflanze ausmacht. „Getreidezüchter haben ein großes Interesse an den wilden Verwandten heutiger Nutzpflanzen als Ursprung nützlicher Eigenschaften“, erklärt Preece. Zu den gewünschten Eigenschaften gehören etwa höherer Ertrag oder Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel.
Um noch mehr zu erfahren, wollen die Wissenschaftler ihre Experimente als nächstes vom Treibhaus ins Freiland verlegen. In der Türkei, im Herzen des fruchtbaren Halbmonds, hoffen sie auf eine weitere reiche Ausbeute an Erkenntnissen.
(British Ecological Society, 11.12.2014 – AKR)