Neurobiologie

Smartphone verändert das Gehirn

Hirnareale für Daumen-Reize werden aktiver und sensibler

Das ständige Wischen und Tippen mit dem Daumen verändert das für ihn zuständige Areal im Gehirn © clipdealer

Durchs Wischen sensibiliert: Die Nutzung von Touchscreen-Smartphones hat überraschend deutliche Folgen. Schon nach wenigen Wochen verändert das ständige Umherwischen auf dem Touchscreen unser Gehirn, wie eine Studie zeigt. Das für Daumen und Zeigefinger zuständige Hirnareal reagiert sensibler und stärker auf Reize als zuvor. Das zeigt zum einen, wie enorm plastisch unser Gehirn ist – aber auch, wie stark moderne Technik nicht nur unseren Alltag, sondern längst auch unser Gehirn prägt.

Unser Gehirn reagiert plastisch und passt sich an Beanspruchungen und regelmäßige Bewegungen oder Reize an – das ist schon länger bekannt. So sind bei Berufsmusikern durch das jahrelange intensive Üben Hirnareale vergrößert und sensibilisiert, die die Bewegungen der Finger steuern. Allerdings fangen diese Musiker oft schon als Kind an, ihr Instrument zu spielen und das Gehirn hat daher lange Zeit, sich an die anspruchsvolle Aufgabe anzupassen.

Smartphone als Forschungshelfer

Ob diese Anpassung auch schneller funktioniert, haben Anne-Dominique Gindrat von der Universität im schweizerischen Freiburg und ihre Kollegen nun in einem Experiment mit Touchscreen-Smartphones untersucht. Die Idee dahinter: Diese Geräte werden von den meisten Menschen sehr häufig am Tag genutzt. Gleichzeitig gehören die für die Bedienung nötigen Daumen- und Fingerbewegungen nicht zum normalen Repertoire.

An der Studie nahmen 37 Probanden teil, 26 mit einem Touchscreen-Smartphone, 11 mit einem herkömmlichen Tastenhandy. Alle Teilnehmer wurden zunächst über ihre Handygewohnheiten befragt, darunter auch, welche Finger sie beim Tippen oder Touchscreen-Nutzen einsetzten. Wie lange sie ihr Handy in den letzten zehn Tagen genutzt hatten, entnahmen die Forscher den Daten des Smartphones selbst, darunter dem Akkuzustand.

Im eigentlichen Experiment bekamen alle Probanden eine Elektrodenkappe aufgesetzt, die ihre Hirnströme aufzeichnete, während Forscher nacheinander die Fingerspitze ihres Daumens, Zeige- und Mittelfingers berührten. Anhand der Elektroenzephalogramme (EEG) konnten sie so ablesen, wie stark die für die Reize dieser Finger zuständigen Hirnareale reagierten.

Daumen-Areal reagiert stärker

Das Ergebnis: Bei den Touchscreen-Nutzern reagierten die Areale für alle drei Finger stärker als für die Probanden mit den Tastenhandys. Der Ausschlag der elektrischen Signale bei Daumen und Zeigefinger war dabei umso höher, je häufiger und länger die Teilnehmer ihr Touchscreen-Handy in den letzten zehn Tagen genutzt hatten, wie die Forscher berichten. „Vom Ausmaß der Unterschiede war ich wirklich überrascht“, sagt Seniorautor Arko Ghosh von der Universität Zürich.

Das für die Daumenspitze zuständige Hirnareal reagierte sogar auf tagesabhängige Schwankungen: Lag die letzte Smartphone-Nutzung schon mehrere Stunden zurück, feuerten die Hirnzellen weniger stark als wenn der Teilnehmer gerade erst den Touchscreen bedient hatte. Je kleiner der zeitliche Abstand zur letzten Nutzung, desto stärker ließ sich die Hirnrinde durch Reizung der Daumenspitze aktivieren.

Alltagtechnik verändert uns

Nach Ansicht der Forscher demonstrieren diese Ergebnisse, wie stark unser Gehirn selbst durch alltägliche Handlungen beeinflusst und verändert wird. Die ständige Bewegung der Daumenspitze über die glatte Touchscreen-Oberfläche führt offenbar dazu, dass die Reize dieser Fingerspitze anders verarbeitet werden – wir werden sensibler für selbst kleinste Tasteindrücke. Die Plastizität des Gehirns ist dabei deutlich größer als gedacht, weil diese Anpassung schon nach wenigen Wochen messbar wird.

„Wir glauben, dass die Reizverarbeitung in unserer Hirnrinde kontinuierlich durch die persönliche digitale Technologie geprägt wird“, sagen Gosh und seine Kollegen. Was genau dabei abläuft und welche Mechanismen dahinter stecken, sind allerdings bisher noch unbekannt. Klar scheint nur: Wer sein frisch zu Weihnachten bekommenes Smartphone auspackt und häufig nutzt, der verändert sein Gehirn. (Current Biology, 2014; doi: 10.1016/j.cub.2014.11.026)

(Cell Press, 29.12.2014 – NPO)

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