Luchs, Wolf und Bär erobern sich Europa zurück – trotz dichter Besiedlung und intensiver Landwirtschaft. Auf immerhin einem Drittel der europäischen Fläche lebt mindestens eine dieser großen Raubtierarten, wie eine aktuelle Studie nun zeigt. Wölfe gibt es in Europa sogar doppelt so viele wie in den USA ohne Alaska. Diese Bilanz macht Hoffnung auch für andere Kontinente, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ konstatieren.
Die großen Raubtiere Luchs, Wolf und Braunbär waren einst fester Bestandteil der Wälder Europas. Mit der Ausbreitung von uns Menschen jedoch wurden sie selten oder verschwanden sogar völlig. Als einer der Gründe dafür galt ihr hoher Raumbedarf: Diese großen Raubtiere streifen in enormen Gebieten umher, um ihre Beute zu finden oder nach Partnern zu suchen. In der dicht besiedelten europäischen Landschaft stoßen sie dabei immer wieder an Barrieren: Zäune, Straßen, Siedlungen.
„Die Hauptdiskussion beim Schutz dieser Raubtiere war daher, ob es in Europa überhaupt noch genügend geeigneten Platz gibt, damit sich lebensfähige und ökologisch funktionsfähige Populationen entwickeln können“, erklären Guillaume Chapron von der schwedischen Universität für Agrarwissenschaften in Riddarhyttan und seine Kollegen. Sie haben nun Erhebungen der letzten 100 Jahre aus allen europäischen Länder gesammelt und ausgewertet, um diese Frage zu klären.
Mehr Wölfe als in den USA
Das Ergebnis ist überraschend positiv: „Der europäische Kontinent hat es geschafft, lebensfähige Bestände der großen Raubtiere zu erhalten und zum Teil sogar wiederzugewinnen“, berichten Chapron und seine Kollegen. So leben auf einem Drittel der europäischen Fläche mindestens eine Art der Raubtiere – Tendenz steigend.
Braunbären gibt es demnach dauerhaft in 22 Ländern, Luchse sogar in 23. Wölfe kommen in 28 europäischen Ländern vor. Ihre Anzahl ist mit mehr als 11.000 Exemplaren sogar rund doppelt so hoch wie in den USA ohne Alaska – obwohl Europa nur halb so groß ist und doppelt so dicht besiedelt. Die großen Raubtiere bilden mehrere große Populationen mit tausenden von Individuen und viele mittlere mit einige hundert Einzeltieren, wie die Auswertung ergab. Keine dieser Populationen zeigt Anzeichen für eine Abnahme der Bestände.
Menschen sind kein Problem, ihre Vorurteile schon
Das Erstaunliche an dieser Bilanz: „Alle Raubtierarten überdauern in einer von Menschen dominierten Landschaft und größtenteils außerhalb von Schutzgebieten“, so die Forscher. Wölfe, Luchse und Bären zeigen damit die Fähigkeit, mit dem Menschen zu koexistieren und sich an die veränderten Landschaften anzupassen. Selbst im unmittelbaren Umfeld großer Städte finden sich teilweise wieder Vertreter der großen Raubtiere.
Die Nähe zum Menschen führt allerdings zu einem weiteren Problem, wie die Wissenschaftler erklären: Der Kontakt oder auch nur die Möglichkeit, einem Wolf, Bär oder Luchs zu begegnen weckt bei vielen Menschen Ängste und Feindschaft. „Es gibt eine tiefsitzende Feindseligkeit gegenüber diesen Arten in der menschlichen Geschichte und Kultur“, so Chapron und seine Kollegen.
Wenn man die Raubtiere weiter erhalten und schützen wolle, sei es daher nötig, sowohl die ökologische als auch die soziopolitische Situation im Auge zu behalten. „Dennoch macht die europäische Situation Hoffnung – auch für andere Regionen der Erde“, schließen die Forscher. (Science, 2014; doi: 10.1126/science.1257553)
(Science, 19.12.2014 – NPO)