Fossilfund im Fischernetz: Vor der Küste von Taiwan haben Fischer ein ungewöhnliches Frühmenschen-Fossil entdeckt. Denn der 190.000 bis 450.000 Jahre alte Unterkiefer müsste vom Alter her von einem Homo erectus stammen. Das Fossil unterscheidet sich aber deutlich von bisherigen asiatischen Funden dieser Menschenart. Es könnte sich daher um eine bisher unbekannte Frühmenschen-Variante handeln, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Als vor rund 120 Jahren auf Java der Schädel und Zahn eines Urmenschen gefunden wurden, sorgte dies für eine Sensation. Denn der Fund des „Java-Menschen“ belegte, dass schon vor rund einer Million Jahren Vertreter des Homo erectus in Asien lebten. Seither wurden neben dem „klassischen“ Homo erectus auch weitere Frühmenschen-Formen in Asien entdeckt, darunter der rätselhafte Denisova-Mensch im Süden Sibiriens und der kleine Hobbit-Mensch auf der indonesischen Insel Flores.
Zufallsfund schließt Fossil-Lücke
Diese Funde zeigen, wie komplex und zum Teil noch immer unverstanden die Evolution des frühen Menschen auf dem asiatischen Kontinent ist. „Hinzu kommt, dass man in weiten Teilen Ostasiens noch gar nicht nach fossilen Belegen für eine menschliche Besiedelung gesucht hat“, erklären Chun-Hsiang Chang vom National Museum of Natural Science im taiwanesischen Taichung und seine Kollegen.
Eine der Lücken hat jetzt ein echter Zufallsfund geschlossen: Rund 25 Kilometer vor der Westküste Taiwans förderte ein Fischernetz mehrere fossile Tierknochen und den halben Unterkiefer eines Frühmenschen zutage. Diese Relikte lagen zuvor auf dem Meeresboden in 60 bis 120 Metern Tiefe, wie die Forscher berichten. Diese Meeresregion zwischen den Penghu-Inseln und der Küste lag in der Zeit vor rund 750.000 bis 120.000 Jahren häufiger trocken und gehörte dann zum Festland.
Abweichungen vom Homo erectus
Wie alt diese Funde genau sind, lässt sich nur schwer ermitteln, weil die Knochen nicht mehr einer Sedimentschicht zugeordnet werden können. Datierungen anhand der Element-Zusammensetzung der Knochen deuten aber darauf hin, dass die Funde nicht älter als 450.000 Jahre sind und nicht jünger als 190.000, wie Chang und seine Kollegen berichten.
Die nähere Untersuchung des Kieferknochens erbrachte einige Überraschungen. Vom Alter her müssten die Kieferknochen und Zähne eigentlich denen anderer Funde des Homo erectus in China und auf Java ähneln. Doch der flache, gedrungene Unterkiefer gleicht eher denen afrikanischer und europäischer Frühmenschen als seinen asiatischen Zeitgenossen. Vor allem die archaisch großen Zähne und der dicke, gedrungene Kieferknochen sind für einen asiatischen Vertreter des Homo erectus aus dieser Zeit sehr ungewöhnlich, denn hatte bereits sehr viel zierlichere Kiefer und Zähne.
Eine neue Homo-Variante?
Es ist daher unklar, von welcher Art von Frühmensch der Fund von Penghu stammt. Die ungewöhnliche Merkmals-Kombination und die Tatsache, dass bisher nur eine Hälfte eines Unterkiefers gefunden wurde, macht eine klare Zuordnung unmöglich, sagen die Forscher. Ihrer Ansicht nach könnte der neue Fund aber sogar zu einer bisher unbekannten Variante von Frühmenschen gehören. Diese könnten sich unabhängig von den auf Java lebenden Homo erectus-Vertretern entwickelt haben.
Möglich wäre aber auch, dass der Penghu-Mensch von einer Linie robuster Frühmenschen abstammte, die erst vor rund 800.000 Jahren aus Afrika nach Asien einwanderten – nach der Erstbesiedelung Asiens durch den Homo erectus. (Nature Communications, 2015; doi: 10.1038/ncomms7037)
(Nature Group, 28.01.2015 – NPO)