Wetterwechsel auf dem Kometen: Die Südhälfte des Rosetta-Kometen Chury könnte in den kommenden Monaten eine bis zu 20 Meter dicke Schicht verlieren. Denn ab Mai beginnt dort der kurze Sommer, während der Komet die Sonne umrundet. Die frische, freigelegte Oberfläche bietet neue Möglichkeiten für die Kometenforscher. Außerdem besteht im Kometensommer wieder Hoffnung auf Kontakt zur Landeeinheit Philae.
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Auch auf dem Rosetta-Kometen 67P/Churymov-Gerasimenko, „Chury“, gibt es verschiedene Jahreszeiten, ähnlich wie auf der Erde. Der Grund dafür ist seine gegen die Umlaufbahn geneigte Rotationsachser. Bei Chury ist die Achse mit über 50 Grad sogar noch deutlich stärker geneigt als bei der Erde. Zusammen mit der komplexen, zweiteiligen Form des Kometen und seiner stark elliptischen Umlaufbahn führt dies dazu, dass der Komet ausgeprägte Jahreszeiten hat, die zudem immer kürzer werden, je mehr er sich der Sonne nähert.
Kurzer, aber intensiver Sommer
Wenn sich der Komet aber der Sonne annähert, wie zurzeit der Fall, wird es spannend: Noch herrscht auf der Südseite tiefe Polarnacht, ab Mai wird dort jedoch ein vergleichsweise kurzer, aber intensiver Sommer von zehn Monaten beginnen. Dann ändert sich auch das Verhalten und Aussehen des Kometen radikal, denn das Sonnenlicht ist verantwortlich dafür, wie viel Eis von seiner Oberfläche verdampft und dabei Staub mit sich reißt.
Mit Rosettas OSIRIS-Kamera haben Wissenschaftler um Horst Uwe Keller vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) abgeschätzt, wie sich diese Erosion auf Churys Nord- und Südhälfte auswirken wird. Dazu unterteilten sie ein Modell der Kometenoberfläche zunächst in 100.000 kleine Dreiecke, um unterschiedliche stark beleuchtete Bereiche separat berechnen zu können. Damit berücksichtigen sie etwa beschattete Krater oder stärker beleuchtete Berghänge.
Südhälfte verliert bis zu 20 Meter Staub und Eis
Weiterhin nahmen die Forscher an, dass das Eis des Kometen nur von einer 50 Mikrometer dicken Staubschicht bedeckt ist. „Natürlich können wir uns bei diesem Wert noch nicht völlig sicher sein“, sagt Keller. „Mit ihm lassen sich jedoch die Erosionsraten, die wir derzeit beobachten, gut reproduzieren. Wir halten ihn deshalb für einen guten Ausgangspunkt für unser Modell.“ Außerdem gehen die Wissenschaftler davon aus, dass etwa vier Mal mehr Staub als Eis ins All geschleudert wird.
Das Ergebnis klingt dramatisch: „Die Südhalbkugel könnte während ihres kurzen, aber intensiven Sommers eine Schicht von bis zu 20 Metern Dicke verlieren“, berichtet Stefano Mottola vom DLR. Auf der nördlichen Kometenhälfte hat die Erosion durch die Sonne dagegen viel geringere Folgen. Nur die am höchsten emporragenden Klippen werden dort beim Sonnenumlauf bis zu zehn Meter verlieren.
Nicht mehr der vertraute Komet
Der „Halsbereich“ des Kometen bildet ein schattiges Tal und erhält nur wenig Sonnenlicht. Dennoch zeigte dieser Bereich in den vergangenen Monaten bereits besonders starke und frühe Aktivität: Viele Staubfontänen stammen von dort, und sogar ein Riss bildete sich. Die Wissenschaftler nehmen deshalb an, dass dieser Bereich anders zusammengesetzt ist als der Rest des Kometen.
Durch diese starke Erosion wird Chury sich wahrscheinlich extrem verändern, was den Forschern viele neue Einblicke bietet: „Der Komet häutet sich quasi ständig und zeigt frisches, unverbrauchtes Material an seiner Oberfläche, das noch nicht durch die kosmische Strahlung gealtert ist“, sagt Ekkehard Kührt vom DLR.
OSIRIS-Teamleiter Holger Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen fügt hinzu: „Möglicherweise wird 67P nach seiner Sonnenpassage nicht mehr der Komet sein, der uns in den vergangenen Monaten so vertraut geworden ist. Diese Veränderungen aus der Nähe mit zu erleben, wird ein unbeschreibliches Abenteuer sein.“ Ein positiver Nebeneffekt: Mit dem nahenden Kometensommer besteht die Chance, dass die Landeeinheit Philae genug Licht bekommt und aus ihrem dunklen Winterschlaf erwacht.
(Max-Planck-Gesellschaft / Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), 10.02.2015 – AKR)