Hirndoping: Knapp drei Millionen Deutsche haben bereits verschreibungspflichtige Medikamente genutzt, um am Arbeitsplatz leistungsfähiger zu sein oder um Stress abzubauen. Das geht aus einem aktuellen Gesundheitsreport der DAK hervor. Dabei stiegen die Zahlen in den vergangen Jahren von 4,7 auf 6,7 Prozent – und die Dunkelziffer liegt noch viel höher. Vor allem Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten oder unsicheren Jobs gehören zu den Risikogruppen für den Medikamentenmissbrauch.
Sie heißen Ritalin, Adderall, Vigil oder Modafinil und eigentlich sollen sie Kranken helfen – wie etwa bei ADHS, schweren Schlafstörungen oder Alzheimer. Einige gesunde Menschen setzen diese Mittel aber für berufliche Zwecke ein – um ihre Konzentration, ihr Gedächtnis oder allgemein ihre kognitiven Fähigkeiten zu steigern. Wer dies tut, nimmt jedoch oft weitreichende und langfristige Folgen in Kauf. Trotzdem werden es scheinbar immer mehr, die auf vermeintliche „Wunderpillen“ ausweichen, um ihre Leistung zu steigern.
Hirndoping nimmt zu
Für die repräsentative Studie „Update: Doping am Arbeitsplatz“ hat die DAK-Gesundheit nun untersucht, ob und wie Erwerbstätige ohne medizinische Notwendigkeit zu verschreibungspflichtigen Medikamenten greifen. Experten nennen dies „pharmakologisches Neuro-Enhancement“. Hierfür hat die DAK-Gesundheit Arzneimitteldaten von 2,6 Millionen erwerbstätigen Versicherten analysiert und zusätzlich mehr als 5.000 Berufstätige im Alter von 20 bis 50 Jahren befragt
Die Ergebnisse zeigen: Der Griff zur leistungssteigernden Pille nimmt zu. Laut den Daten der DAK haben dies bereits 6,7 Prozent der Berufstätigen mindestens einmal getan. Das sind zwei Prozent mehr als noch im Jahr 2008. Dabei liegt die Dunkelziffer nach Schätzungen der Experten bei bis zu zwölf Prozent. Dies würde hochgerechnet auf die deutsche Bevölkerung bedeuten, dass bereits etwa fünf Millionen Erwerbstätige ihre Leistung gedopt haben.
Regelmäßig dopen sich laut der Studie etwa 1,9 Prozent, das entspricht immerhin noch einer Millionen Berufstätigen. Und auch wer es noch nicht probiert hat, ist offenbar nicht automatisch Gegner der umstrittenen Methode: Fast jeder Zehnte gab an, gegenüber Hirndoping prinzipiell aufgeschlossen zu sein. „Auch wenn Doping im Job in Deutschland noch kein Massenphänomen ist, sind diese Ergebnisse ein Alarmsignal“, warnt DAK-Vorstandschef Herbert Rebscher.
Wer dopt warum
Auslöser für den Griff zur Pille sind meist hoher Leistungsdruck sowie Stress und Überlastung. Vier von zehn Dopern gaben an, bei konkreten Anlässen wie anstehenden Präsentationen oder wichtigen Verhandlungen Medikamente einzunehmen. Auch Menschen, die an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten oder bei denen Fehler schwerwiegende Konsequenzen haben können, greifen eher zu leistungssteigenden Medikamenten, zeigt die DAK-Analyse.
Dabei stimmt keinesfalls das vorherrschende Vorurteil des dopenden Top-Managers. Das Gegenteil ist offenbar der Fall: Die Einnahme von leistungssteigernden Pillen steigt umso mehr, je unsicherer der Arbeitsplatz und je einfacher die Arbeit. Ältere Tests bewiesen zudem bereits, dass gerade bei Menschen, die einen hohen IQ haben und ihre kognitive Leistung bereits ausschöpfen, Neuro-Enhancement nicht hilft.
Dabei dopen Frauen anders als Männer: „Frauen nehmen eher bestimmte Mittel gegen Depressionen, um die Stimmung zu verbessern und Ängste und Nervosität abzubauen“, erläutert Rebscher die Motive. „Bei Männern sind es meist anregende Mittel. Sie wollen wach bleiben, stark und leistungsfähig sein.“
Wunderpille gibt es nicht
Eine Pille einwerfen, und Superkräfte erhalten – so stellen sich viele wahrscheinlich die Einnahme von Ritalin und Co vor. Das ist so aber nicht richtig, denn eine Wunderpille gibt es nicht. Die Wirkung der Medikamente beschränkt sich oft auf einen kurzen und minimalen Effekt bei der kognitiven Leistungsfähigkeit.
Der Preis, der hierfür bezahlt wird, ist hingegen hoch: Körperliche Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Schlafstörungen bis hin zu Herzrhythmusstörungen sind keine Seltenheit. Genauso wenig wie Persönlichkeitsveränderung und Abhängigkeit- und mögliche Langzeitfolgen sind noch völlig unklar. „Suchtgefahren und Nebenwirkungen des Hirndopings sind nicht zu unterschätzen“, warnt Rebscher. „Deshalb müssen wir auch beim Thema Gesundheit vorausschauen und über unsere Wertvorstellungen und Lebensstilfragen diskutieren.“
Der komplette Report zum Download (PDF, 1 MB)
(DAK-Gesundheit, 18.03.2015 – MAH)