Paläontologie

Die Zähne des Peniswurms

Fossile Wurmzähne liefern Erkenntnisse über Tierwelt vor 500 Millionen Jahren

Eines der seltenen vollständigen Fossilien des Priapswurms Ottoia. Dieses Fundstück ist 508 Millionen Jahre alt und stammt aus dem kanadischen Burgess Shale. © Martin Smith

Ein Wurm zeigt Zähne: Die bizarren Priapswürmer benutzten vor 500 Millionen Jahren ihre Zähne nicht nur zum Fressen, sondern auch zur Fortbewegung. Sie stülpten ihren Mund um und machten sich so auf Beutejagd. Wie die Mundwerkzeuge dieser urtümlichen Würmer beschaffen waren und wie verbreitet die Priapswürmer waren, haben Forscher nun anhand von fossilen Zähnen untersucht. Dabei stießen sie auch auf bisher unbekannte Wurmarten, wie sie im Magazin „Palaeontology“ berichten.

Es klingt wie die Einleitung zu einem Horror-Film: Ein penisförmiger Wurm stülpt seine Mundöffnung vollständig um. Mit seiner zahnbesetzten Kehle, die wie eine Käsereibe aussieht, zieht er sich dann über den Boden. Doch das ist Realität: Solche Würmer existierten tatsächlich – und ihre Nachfahren leben noch heute: Die sogenannten Priapswürmer gehören zu den ältesten Tiergattungen der Erde. Wegen ihres Aussehens sind sie nach Priapos, dem griechischen Gott der Manneskraft benannt – im englischen heißen sie auch „penis worms“.

Meistens nur Zähne erhalten

Fossilien dieser Würmer lassen sich bis zur „kambrischen Explosion“ vor etwa 500 Millionen Jahren zurück datieren. In dieser Epoche tauchte eine enorme Vielfalt an Tierarten in den Ozeanen der Erde auf. Die meisten davon waren Weichtiere wie Schwämme und Würmer, darunter auch die Priapswürmer. Abgesehen von einigen Glücksfällen sind daher nur wenige Fossilien vollständiger Körper dieser Würmer erhalten.

Spitzen, Haken, Borsten: Die vielseitigen Zähne des Priapswurms Ottoia © Tom Harvey

Meistens blieben allein die Zähne erhalten – für Paläontologen wie Martin Smith von der University of Cambridge liefern sie darum wichtige Informationen, wo auf der Erde die Würmer verbreitet waren. „Aber wenn man diese Zähne, die nur etwa einen Millimeter lang sind, findet, hält man sie eher für die Sporen von Algen als für Teile von Tieren“, erläutert Smith. Aus diesem Grund haben Smith und seine Kollegen die Zähne der Priapswürmer genauestens untersucht und eine Art Handbuch erstellt.

Erstaunlich vielseitige Zähne

Dazu nahmen sie die winzigen Zähne nicht nur unter die Lupe, sondern auch unters Elektronenmikroskop. Die untersuchten Fossilien stammen aus dem Burgess Shale im Westen von Kanada. Dort befindet sich die ergiebigste Fundstelle von Fossilien aus dem Kambrium: eine Fülle merkwürdigster Kreaturen, die Paläontologen Einblick in die Entwicklung der Tiere auf der Erde liefert.

Die fossilisierten Zähne des etwa fingerlangen Wurms der Art Ottoia stellten sich als erstaunlich vielseitig heraus: Einige sind kegelförmig, mit winzigen Borsten und Haaren. Andere ähneln Bärenkrallen, und wieder andere haben einen Umriss wie die Skyline einer Stadt.

Diese Vielfalt deutet auf die unterschiedlichen Funktionen der Zähne hin: Die Priapswürmer des Kambrium benutzten ihre Zähne demnach nicht nur zum Fressen. Sie stülpten auch das Innere ihres Mundraums nach außen und benutzten die Zähne als Haken, um ihren ganzen Körper über den Untergrund zu ziehen. Mit dem derart umgekrempelten Mund verschlangen sie außerdem alles, was ihnen an Beute in den Weg kam – Krebse, Würmer und andere Meerestiere.

Zeichnerische Rekonstruktion des kambrischen Priapswurms der Art Ottoia. Am Mund-Ende (links) ist die umgestülpte, mit Zähnen besetzte "Kehle" erkennbar. © Wikimedia Commons: Smokeybjb (CC BY-SA 3.0)

Extrem erfolgreiche Räuber

Die heutigen Priapswürmer graben sich immer noch durch die Sedimente am Meeresboden, jedoch führen sie verglichen mit ihren Vorfahren eher ein Schattendasein. „Moderne Priapswürmer sind an den Rand gedrängt worden und leben heute in extremen Unterwasser-Lebensräumen“, sagt Smith. „Aber während des Kambriums waren sie furchterregende Räuber, und extrem erfolgreich obendrein.“

Der von den Forschern erstellte Katalog der Wurm-Zähne soll nicht nur Aufschluss über die Verbreitung des Wurms Ottoia liefern. Anhand der detaillierten Struktur der Zähne identifizierten sie auch Zahnfossilien anderer bislang unbekannter Wurmarten von überall auf der Erde. „Zähne liefern alle möglichen Hinweise, sowohl bei modernen Tieren wie bei Fossilien“, erklärt Smith. „Es ist absolut möglich, das unerkannte Arten in bestehenden Fossiliensammlungen auf ihre Entdeckung warten, nur weil wir nicht genau genug auf ihre Zähne geschaut haben.“ (Palaeontology, 2015; in press)

(University of Cambridge, 06.05.2015 – AKR)

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