Technik

Elektronik – per Spritze injiziert

Ultraflexibler Nanosensor eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Medizin

Das elektronische Nanonetz kann mit einer normalen Nadel injiziert werden und faltet sich dann von selbst auf © Lieber Research Group/ Harvard University

Es klingt wie Science-Fiction: US-Forscher haben einen elektronischen Nanosensor entwickelt, der einfach per Spritze in den Körper injiziert werden kann. Das ultraflexible Netz aus Nanoelektroden breitet sich im Gewebe von selbst aus und kann dort Signale aus dem Körper messen oder aber das Gewebe aktiv stimulieren, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Nanotechnology“ berichten. Im Gegensatz zu den gängigen implantierbaren Elektroden wird das Gewebe dabei nicht geschädigt.

Dank technischer Fortschritte werden elektronische Sensoren immer kleiner und flexibler. So gibt es bereits dehnbare elektronische Pflaster, die unsere Temperatur oder Hautfeuchte messen. Anfang 2015 entwickelten Forscher zudem einen flexiblen Magnetsensor, der ebenfalls einfach auf die Haut aufgeklebt wird und als eine Art künstliches Magnetorgan dienen kann. Bisher allerdings blieben diese flexiblen Helfer auf der Körperoberfläche.

Per Spritze in den Körper

Jia Liu von der Harvard University und seine Kollegen haben nun eine hochflexible Nanoelektronik entwickelt, die mittels ganz normaler Spritze in das Körperinnere appliziert werden kann. Die Nanoelektronik besteht aus einem Netz aus Nanodrähten aus Metall, die von einem organischen Polymer umhüllt sind. Dieses Netz wird zunächst auf einem Dünnfilm hergestellt, der Dünnfilm wird dann aber wieder aufgelöst, so dass nur das extrem flexible Netz übrigbleibt.

„Diese Nanoelektronik ist eine Million Mal flexibler als die gängigen flexiblen Elektroniken und ist sehr viel kleiner“, erklärt Studienleiter Charles Lieber von der Harvard University. Dadurch kann man ein rund zwei Millimeter großes Netz problemlos in eine Spritze füllen. Die Nanoelektronik rollt sich zusammen und lässt sich dann per Injektionsnadel einfach injizieren. Einmal unter der Haut oder auch im Gehirn angelangt, breitet sich die netzartige Nanoelektronik von selbst wieder aus und ist dann einsatzbereit.

Diese Aufnahme mit dem Konfokalmikroskop zeigt das Nanonetz im Gehirngewebe einer Maus © Lieber Research Group/ Harvard University

Minisensor im Gehirn

In einem ersten Praxistest injizierten die Forscher betäubten Mäusen ein Nanonetz mit Platinelektroden durch ein kleines Loch im Schädel in das Gehirn. Diesen Sensor verbanden sie mit außenliegenden Schaltkreisen und nutzten dieses Ensemble, um die Hirnströme eines Hirnareals abzuleiten und auszulesen. Wie sich zeigte, entsprachen die Ergebnisse denen, wie sie auch bei Ableitungen mittels Elektroden zu sehen sind – nur dass das Nanonetz sehr viel kleiner und weniger belastend für den Körper ist.

„Die bisher existierenden Technologien sind ziemlich grob, implantierte Elektroden verursachen daher häufig Entzündungen in den Geweben“, erklärt Lieber. „Mit unserer Technologie aber ist es, als wäre sie gar nicht da.“ Denn das Nanonetz ist genauso flexibel wie das umgebende Gewebe und vermeidet dadurch mechanische Schäden, wie die Forscher berichten. Die Versuche mit Mäusen ergaben, dass das umliegende Gewebe keine Abwehrreaktion gegen das Implantat zeigte. Stattdessen wanderten Nervenzellen sogar in das Netz ein und verbanden sich mit ihm – als wenn die Nanoelektronik ein körpereigenes Gewebegerüst wäre.

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Viele Anwendungen und einfache Produktion

„Das eröffnet einen völlig neuen Weg, um die Schnittstelle zwischen Elektronik und Biologie zu erkunden“, so Lieber. „Es gäbe eine Menge Anwendungen dafür.“ So könnte das elektronische Nanonetz nicht nur zum Auslesen, sondern auch zum gezielten Stimulieren bestimmter Hirnbereiche eingesetzt werden. Es könnte damit die herkömmlichen Elektroden der tiefen Hirnstimulation ersetzen, wie sie unter anderem bereits bei Patienten Parkinson oder schwerer Depression genutzt wird.

Wie die Forscher betonen, ist die Herstellung der Nanonetze alles andere als kompliziert. „Das ist das Schöne daran – sie sind absolut kompatibel mit konventionellen Produktionstechniken“, so Lieber. Ähnlich wie bei der Herstellung von Mikrochips wird die Netzstruktur auf das lösliche Substrat aufgetragen. Dann erst wird der tragende Dünnfilm aufgelöst und das Netz ist frei. Die Harvard University hat bereits ein Patent auf diese Technologie angemeldet und sucht nach Partnern für die Kommerzialisierung. (Nature Nanotechnology, 2015; doi: 10.1038/nnano.2015.115)

(Harvard University, 09.06.2015 – NPO)

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