Unkraut als Rohstoff-Lieferant: Forscher haben einen neuen Weg entdeckt, um den begehrten Naturkautschuk herzustellen. Sie erzeugen ihn aus Russischem Löwenzahn statt aus dem tropischen Kautschukbaum. Ein großer Vorteil dabei: Der Löwenzahn wächst nahezu überall, daher muss für ihn kein Regenwald abgeholzt werden.
Etwa 40.000 Produkte unseres täglichen Lebens enthalten Naturkautschuk. Ob Matratzen, Handschuhe, Klebestreifen oder Reifen – erst dieser Rohstoff verleiht ihnen ihre Elastizität, Zugfestigkeit und Kälteflexibilität. Doch die Erzeugung des Kautschuks ist nicht unproblematisch. Denn bisher wird der Naturkautschuk ausschließlich aus dem in Südostasien wachsenden Kautschukbaum (Hevea brasiliensis) gewonnen. Dort aber werden dafür immer mehr Regenwälder gerodet und in den Plantagen nehmen Schadpilze zu.
Latex aus dem Löwenzahn
Das Problem dabei: Obwohl es unzählige Sorten von Kunststoff aus Erdölprodukten gibt, lässt sich Naturkautschuk bisher nicht durch künstlichen ersetzen. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME in Münster haben nun jedoch eine preiswerte und umweltfreundliche Alternative zum Kautschukbaum entdeckt: den Russischen Löwenzahn (Taraxacum koksaghyz).
Die Idee kam den Forschern zufällig, während eines Ausflugs ins Grüne: „Ich saß auf einer Wiese im Sauerland, die übersäht war mit Löwenzahn“, erzählt Dirk Prüfer vom IME. „Als ich eine Blüte abgerissen hatte, tropfte aus dem Stängel weiße Latex-Milch. Da hatte ich die Idee, dass man hieraus doch Kautschuk gewinnen könnte.“
Russische Art am besten geeignet
Doch die Menge an Latex – Kautschuk in flüssiger Form – im heimischen Löwenzahn reicht nicht aus, um ihn industriell zu nutzen. Aus diesem Grund führten die Forscher die Arbeiten mit dem Russischen Löwenzahn fort, der deutlich mehr Kautschuk produziert.
„Die Pflanze ist extrem anspruchslos“, erklärt Christian Schulze Gronover vom IME. „Sie kann in gemäßigtem Klima und selbst auf Böden kultiviert werden, die für die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln nicht oder nur begrenzt geeignet sind.“ Ein weiterer Vorteil des Löwenzahns: Im Gegensatz zu einem Baum wächst er von Jahr zu Jahr neu. Der Kautschukbaum bringt erst nach sieben bis zehn Jahren einen Ertrag.
Rohstoff steckt in der Wurzel
Durch gezielte Zucht gelang es den Forschern, den Kautschukgehalt des Russischen Löwenzahns innerhalb kurzer Zeit zu verdoppeln. Auf gentechnische Eingriffe verzichteten sie dabei. Prüfer und Schulze Gronover analysierten stattdessen die Löwenzahn-DNA und definierten DNA-Marker. Hierdurch konnten sie bereits bei Keimlingen feststellen, ob diese Eigenschaften besitzen, die sich positiv auf die Kautschukproduktion auswirken.
Den Kautschuk aus der Pflanze zu lösen, war eine weitere Herausforderung. Die Wissenschaftler entwickelten hierfür ein umweltfreundliches Verfahren. Da der Anteil in den Blättern gering ist, werden lediglich die Wurzeln zermahlen. Anschließend wird der Rohstoff mit Wasser von den übrigen Stoffen getrennt.
Praxistest bereits bestanden
In Auto-Reifen hat sich der Löwenzahn-Kautschuk bereits bewährt. Der Hersteller Continental hat ein erstes Modell auf Asphalt getestet. „Der Kautschuk aus Löwenzahn hat optimale Rohstoff- und Materialeigenschaften. Die Reifen daraus zeigen ein äquivalentes Eigenschaftsprofil im Vergleich zu Reifen aus herkömmlichem Naturkautschuk“, berichtet Carla Recker von Continental.
Da Naturkautschuk für die Qualität vieler Produkte aus Gummi entscheidend ist, ist er für viele Staaten ein strategisch bedeutenden Rohstoff. Kautschuk aus Löwenzahn könnte die Abhängigkeit von Importen verringern. Ersetzen könne er sie nicht, vermutet Prüfer. „Denn um den Weltbedarf an Naturkautschuk mit Löwenzahn zu decken, bräuchte man eine Fläche so groß wie Österreich.“ Für ihre Forschung am Russischen Löwenzahn sowie die Entwicklung der Anwendung haben Dirk Prüfer, Christian Schulze Gronover sowie Carla Recker den Joseph-von-Fraunhofer-Preis 2015 erhalten.
(Fraunhofer-Gesellschaft, 09.06.2015 – NPO)