Neurobiologie

Krähen zählen ähnlich wie wir

Neuronen im Krähengehirn reagieren auf ihre jeweiligen "Lieblingszahlen"

Eine Krähe beim Mengenvergleich: Sie muss anzeigen, ob diese Punktemenge mit der zuvor gezeigten übereinstimmt. © Andreas Nieder

Vier ist mehr als zwei – diesen einfachen Zahlenvergleich beherrschen auch Krähen und Tauben problemlos. Doch wie diese intelligenten Vögel diese Aufgabe bewältigen und wo ihr „Rechenzentrum“ im Gehirn sitzt, war bisher unbekannt. Ein Experiment enthüllt nun: Obwohl Krähen mit einem völlig anderen Hirnteil rechnen als wir, ist das Prinzip das Gleiche: Neuronen reagieren selektiv auf ihre jeweiligen „Lieblingszahlen“.

Das können schon kleine Kinder und Affen: Quasi instinktiv erkennen sie, ob eine Menge mehr Objekte enthält als eine andere. Auch einfaches Zählen beherrschen Affen und sogar Tauben: Sie können beispielsweise Zahlenmengen in die richtige Reihenfolge bringen. Ähnliches gilt für die ohnehin sehr intelligenten Krähen. Einer Anekdote nach sollen sie, wenn sie drei Jäger in einer Scheune verschwinden sehen, erst wieder auf dem angrenzenden Feld Saatgut fressen, wenn alle drei Jäger wieder gegangen sind – auch wenn sie die Scheune einzeln verlassen.

Wo sitzt das „Rechenzentrum“ der Vögel?

Beim Menschen und Affen ist bereits bekannt, wo im Gehirn dieses einfache Rechnen stattfindet: In einem Bereich des Stirnhirns, dem präfrontalen Cortex. Doch Vögel besitzen dieses Hirnareal nicht, ihr Gehirn weist noch keinen Neocortex auf. Wo sich ihre Rechenfähigkeit versteckt, war daher bisher unbekannt. Helen Ditz und Andreas Nieder von der Universität Tübingen haben dies nun mit Hilfe eines Experiments aufgedeckt.

Die Wissenschaftler trainierten dafür Krähen, verschiedene Anzahlen an Punkten oder anderen Objekten zu unterscheiden. Dafür sollten die Vögel immer dann auf einen Screen klicken, wenn zwei Anzahlen übereinstimmten. Während dieser Aufgabe maßen die Forscher die Aktivität eines bestimmten Hirnareals, des Nidopallioum Caudolaterale (NCL). Diese Hirnregion gilt bei den Vögeln als Region, die Assoziationen und auch visuelle Informationen verarbeitet. Deshalb vermuteten Ditz und Nieder hier auch den Sitz des „Rechenzentrums“ der Krähen.

Neuronen mit „Lieblingszahlen“

Wie sich zeigte, wurden viele Neuronen in diesem Hirnareal tatsächlich immer dann aktiv, wenn die Krähen die Objektmengen verglichen. Jede Zelle antwortete dabei am stärksten auf ihre jeweilige Lieblingszahl – egal welche Form die dargestellten Objekte hatten. „Wenn eine Krähe drei Punkte, Körner oder auch Jäger sieht, erkennen einzelne Nervenzellen die ‚Dreiheit’ der Objekte“, erklärt Ditz. „Diese Entdeckung zeigt, dass die Fähigkeit, mit abstrakter Zahleninformation umzugehen, auf einzelne Nervenzellen im Krähengehirn zurückgeht.“

Noch interessanter werden die Ergebnisse im Hinblick auf den langen Evolutionszeitraum, der uns Menschen von den Vögeln trennt. Als Folge davon sind die Endhirne von Vogel und Mensch sehr verschieden aufgebaut. Dennoch werden Mengen und Zahlen im Krähenhirn sehr ähnlich verarbeitet und repräsentiert wie bei Primaten. „Es scheint, als hätten Rabenvögel und Primaten trotz ihres unabhängig und verschieden entwickelten Endhirns die gleiche Lösung gefunden, Anzahlen zu verarbeiten“, konstatiert Nieder. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2015; doi: 10.1073/pnas.1504245112)

(Eberhard Karls Universität Tübingen, 09.06.2015 – NPO)

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