Spannender Fund: Forscher haben erstmals einen frühen Homo sapiens entdeckt, der einen Neandertaler unter seinen Urur-Großeltern gehabt haben muss. Der 40.000 Jahre alte Kieferknochen dieses „Mischlings“ enthält fünf bis neun Prozent Neandertaler-DNA, wie Gen-Analysen nun belegen. Das spricht dafür, dass sich unsere Vorfahren nicht nur im Nahen Osten mit Neandertalern vermischten, sondern auch noch in Europa selbst, so die Forscher im Fachmagazin „Nature“.
Die Geschichte beginnt im Jahr 2002 in der Pestera cu Oase, einer Höhle im Südwesten Rumäniens. Höhlenkletterer stießen dort auf einen menschlichen Kieferknochen, der sich bei späteren Datierungen bereits als rund 40.000 Jahre alt erwies. Er gehörte einem frühen Homo sapiens und ist damit einer der ältesten Vertreter des modernen Menschen in Europa. Jetzt haben Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und seine Kollegen erstmals die DNA dieses Menschen analysiert.
Das erstaunliche Ergebnis: Der Mensch aus der Oase-Höhle trug deutlich mehr Neandertaler-DNA in sich als für einen Homo sapiens normal. Etwa fünf bis neun Prozent seines Erbguts stammen von Neandertalern, darunter auch sehr lange Abschnitte einiger Chromosomen, wie die Forscher berichten. Zum Vergleich: Heutige Europäer tragen nur rund ein bis drei Prozent Neandertalergene in sich.
Ein Neandertaler unter den Ururgroßeltern
Anhand der Länge der Neandertaler-DNA-Abschnitte konnten die Forscher schätzen, dass der Mann, dem der Unterkiefer gehört hatte, vor nur etwa vier bis sechs Generationen einen Neandertaler-Vorfahren hatte. „Es ist so ein fantastischer Glücksfall, eine Person zu finden, die so nah mit einem Neandertaler verwandt war“, kommentiert Pääbo. „Ich konnte es kaum glauben, als wir die Ergebnisse zum ersten Mal gesehen haben.“
Wenn aber der Ururopa des Oase-Menschen ein Neandertaler war – oder die Ururoma, dann fand diese Vermischung höchstwahrscheinlich vor Ort statt, im Gebiet des heutigen Rumänien. „Dies zeigt, dass moderne Menschen sich nicht nur im Nahen Osten sondern auch in Europa mit Neandertalern vermischt haben“, sagt Erstautorin Qiaomei Fu von der chinesischen Akademie der Wissenschaften. Denn bisher ging man davon aus, dass unser Neandertalererbe auf Vermischungen beider Menschenarten vor rund 50.000 bis 60.000 Jahren im Nahen Osten zurückgingen.
Komplexes Miteinander
Die DNA-Analysen enthüllten auch, dass der Mensch aus der Oase-Höhle offenbar keine direkten Nachkommen unter den heutigen Europäern hat. ‚“Es kann sein, dass er Teil einer frühen Migration moderner Menschen nach Europa war, die eng mit Neandertalern interagierten, schließlich aber ausstarben“, erklärt Koautor David Reich von der Harvard Medical School.
Die neuen Ergebnisse unterstreichen damit erneut, dass die gemeinsame Geschichte unserer Vorfahren mit den Neandertalern komplexer war, als ursprünglich angenommen. „Wir hoffen, dass wir anhand von Überresten weiterer moderner Menschen, die vor dem Aussterben der Neandertaler gelebt haben, das Miteinander von Neandertalern und modernen Menschen noch detaillierter rekonstruieren können“, sagt Mateja Hajdinjak vom MPI für evolutionäre Anthropologie. (Nature, 2015; doi: 10.1038/nature14558)
(Max-Planck-Gesellschaft, 23.06.2015 – NPO)