Rätselhafte Krater: Die ESA-Raumsonde Rosetta hat auf dem Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko ungewöhnlich tiefe, kreisrunde Löcher entdeckt. Sie ähneln zwar auf den ersten Blick Einschlagskratern, entstanden aber wahrscheinlich eher durch Kräfte von unten: Durch Hohlräume im Untergrund des Kometen, deren Decke einbricht. Das könnte auch erklären, warum besonders viele Staub- und Gasfontänen von diesen Löchern ausgehen, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Die Raumsonde Rosetta und ihr kürzlich wieder erwachter Compagnon Philae haben schon einige spannende Details über den Kometen „Chury“ übermittelt. So entdeckte Rosettas Kamera OSIRIS einen Wackelstein und eine rätselhafte Staubfontänen auf der Nachtseite des Kometen. Je näher der Komet der Sonne kommt, desto mehr Eis und anderes Material verdampft zudem.
Rätselhafte Löcher
Aufnahmen von Rosetta zeigen aber auch, dass viele der größeren Ausbrüche von seltsamen, kreisförmigen Kratern auszugehen scheinen. „Diese Löcher sind bemerkenswert symmetrisch, haben alle eine ähnliche Größe und zeigen interessante morphologische Details“, berichten Jean-Baptiste Vincent vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen und seine Kollegen. Die steilen Wände der Löcher sind von horizontalen Schichten und Terrassen durchzogen. Ihr Durchmesser variiert von mehreren Dutzend bis zu mehreren hundert Metern.
Wie die Forscher feststellten, gibt es auf „Chury“ zwei verschiedene Typen dieser Krater: Diejenigen, von denen Jets ausgehen, sind fast so tief wie breit. Andere, die inaktiv scheinen, sind dagegen deutlichen flacher. „Sie ähneln eher den Senken, wie man sie von anderen Kometen kennt“, so Vincent und seine Kollegen. Diese Löcher seien wahrscheinlich schon älter und daher erodiert.
Sind die Gasfontänen schuld?
Wie aber wurden diese seltsamen Löcher gebildet? Zunächst nahmen die Forscher an, dass die explosiven Ausbrüche von Gas und Staub diese Krater in die Kometenoberfläche reißen. Am 30. April 2015 jedoch lieferte Rosetta-Daten ihnen die Gelegenheit, einen solchen Ausbruch näher zu verfolgen. Dabei zeigte sich: „Die Menge des Materials in diesem Jet war gewaltig – rund 100.000 Kilogramm“, erklärt Bodewits. „Aber das würde nur ein Loch von der Größe weniger Meter erklären.“
Um Krater mit mehreren hundert Metern Durchmesser zu erzeugen, müssten die Jets dagegen eine Milliarde Kilogramm Eis und Staub aus der Kometenoberfläche reißen, wie die Forscher ausrechneten. „Die Ausbrüche sind daher nicht die treibende Kraft hinter diesen Löchern, sondern eher eine ihrer Konsequenzen“, so Bodewits. Auch eine bloße Sublimation oder Erosion der Kometenoberfläche halten sie als Ursache für eher unwahrscheinlich, denn dann wären die Löcher nicht so kreisrund, groß und scharf abgrenzt.
Höhlen-Einsturz als Kraterursache
Stattdessen könnte es sich um Einsturztrichter handeln, ähnlich den Dolinen und Karsttrichtern auf der Erde, so Vincent und seine Kollegen. Sie entstehen, wenn im Untergrund Höhlen oder Kavernen liegen, deren Dach im Laufe der Zeit durch Erosion immer dünner wird. Schließlich kann es sein eigenes Gewicht nicht mehr halten und bricht ein – im Dach der Höhle klafft nun ein tiefes Loch.
Genauso stellen sich die Forscher auch die Entstehung der rätselhaften Löcher von „Chury“ vor. „Das Ausgasen von leicht flüchtigen Stoffen aus Bereichen unter der Oberfläche könnte Hohlräume bilden“, erklären sie. „Nach und nach dehnen sich dann diese Kavernen nach oben hin aus.“ Ist die Decke zu dünn geworden, stürzt sie ein – ein Loch entsteht.
Dieser Kollaps ist zwar ein plötzliches Ereignis, aber die Hohlräume im Untergrund könnten schon sehr viel älter sein, vermuten die Wissenschaftler. Theoretisch könnten sie sogar schon aus der Frühzeit des Kometen stammen, als dieser sich aus locker zusammengeballten Eis- und Staubbrocken bildete.
Erst Kollaps, dann Fontäne
Direkt beobachtet haben die Wissenschaftler den Kollaps einer Höhlendecke auf „Chury“ zwar noch nicht, er könnte aber einige Merkmale der Löcher erklären, wie sie betonen. So legt dieser Kollaps der Decke frisches Material in den Wänden des neuen Kraters frei, die sofort anfangen zu sublimieren – ein Gasausbruch folgt. Ein solcher Kollaps könnte daher sehr gut die von Rosetta beobachtete Eruption vom 30. April verursacht haben.
Auch die Häufung von gleichgroßen Löchern in jeweils einer Region lässt sich über den Einsturz von Kavernen erklären, denn dort ist dann wahrscheinlich auch der Untergrund ähnlich aufgebaut. „Die Löcher zeigen gleichzeitig an, wie frisch die Oberfläche des Kometen ist: eine frische Oberfläche ist eher zerklüftet, mit vielen Löchern, während eine ältere, bereits länger der Sonne ausgesetzt Oberfläche glatter aussehen wird“, erklären Vincent und seine Kollegen.
Auch diese neuen Erkenntnisse unterstreichen daher, wie dynamisch und veränderlich die Oberfläche eines Kometen ist. (Nature, 2015; doi: 10.1038/nature14564)
(ESA/ Nature / University of Maryland, 02.07.2015 – NPO)