Medizin

„Süßer Zahn“ ist zum Teil geerbt

Zwillingsstudie zeigt genetischen Zusammenhang mit Vorliebe für Süßes

Wie viel oder wie wenig Zucker wir mögen, hängt zum großen Teil von unseren Genen ab. © FreeImages.com / Mark Webb

Noch ein Stück Zucker? Wer viel Zucker in den Kaffee tut oder besonders süßes Essen liebt, ist nicht zwangsläufig eine Naschkatze – möglicherweise schmecken solche Menschen Süßes bloß weniger stark. Aufgrund ihrer Gene brauchen sie mehr Zucker oder Süßstoff für den gleichen süßen Geschmack wie andere Menschen, wie US-Forscher nun herausgefunden haben. Die zugrundeliegenden Mechanismen zu verstehen, könnte es auch erleichtern, den Zuckergehalt im Essen zu senken.

Kein Zucker im Kaffee, oder doch gleich vier Stücke? Der Geschmack und die Vorlieben unterscheiden sich von Mensch zu Mensch – was dem einen lecker erscheint, ist dem anderen widerlich süß. Wer einen besonders ausgeprägten „süßen Zahn“ hat, erntet allerdings oft schiefe Blicke: „Zu viel Zucker zu essen gilt oft als persönliche Schwäche“, sagt Danielle Reed vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia.

Was macht Menschen zu Naschkatzen?

Für bitteren und scharfen Geschmack sind genetische Unterschiede und damit die Vorlieben verschiedener Menschen bereits gut untersucht. Auch für die Vorliebe oder starke Abneigung gegenüber dem aromatischen Koriander-Kraut lässt sich genetisch erklären. Die molekularen Mechanismen und damit auch die für süßen Geschmackssinn verantwortlichen Gene sind bislang weniger bekannt.

Reed und ihre Kollegen haben nun erforscht, was Menschen zu ausgeprägten Naschkatzen macht – sind es gesellschaftliche Erfahrungen, oder liegt die Vorliebe für Süßes in den Genen? Um diese Frage zu beantworten, testeten die Forscher das Geschmacksempfinden von 243 eineiigen Zwillingspaaren. Als Vergleich untersuchten sie außerdem 452 Paare zweieiiger Zwillinge und 511 Einzelpersonen. Diesen Probanden setzten die Wissenschaftler vier süße Lösungen vor: Die natürlich vorkommenden Zucker Fruktose und Glukose sowie die synthetischen, kalorienarmen Süßstoffe Aspartam und Neohesperidin-Dihydrochalkon (NHDC).

30 Prozent sind genetisch bedingt

Da eineiige Zwillinge genetisch praktisch identisch sind, können die Wissenschaftler in Zwillingsstudien den Einfluss der Gene und äußere Einflüsse aus Umwelt und Gesellschaft voneinander trennen. Die Studienergebnisse zeigen, dass etwa 30 Prozent der Geschmacksunterschiede zwischen verschiedenen Menschen auf genetische Faktoren zurückgehen.

Wenig Einfluss schreiben die Forscher dagegen etwa dem Essen während der Kindheit zu, ob mit der Familie oder in der Schulkantine. Sie stellen damit die Annahme in Frage, dass viel süßes Essen Kinder unempfindlicher für Zucker mache, so dass sie für den begehrten süßen Geschmack mehr Süßungsmittel benötigen.

Außerdem stellten die Forscher fest, dass es keinen Unterschied beim Geschmacksempfinden von natürlichem Zucker und synthetischen Süßstoffen gibt: Wer anhand seiner Gene weniger Süße wahrnimmt, für den schmeckt alles gleichermaßen weniger süß.

Rätselhafte Signalewege

Versuche an Mäusen hatten noch vor kurzer Zeit darauf hingewiesen, dass es einerseits einen molekularen Signalweg gibt, der den süßen Geschmack von Zucker und Süßstoff gleichermaßen vermittelt. Ein zweiter Signalweg spricht jedoch nur auf Zucker an. Die neuen Erkenntnisse sprechen nun dafür, dass diese zwei Wege wahrscheinlich in einen einzigen Pfad münden, der vor allem genetisch bestimmt ist.

„Die nächste große Frage ist, ob und wie Gene und frühe Erfahrungen zusammenwirken und unsere Nahrungsvorlieben beeinflussen“, sagt Reed. Ein Übermaß an Zucker in der alltäglichen Ernährung gilt als eine der Hauptursachen für Übergewicht und damit verbundene Folgen wie Herzkreislaufkrankheiten und Diabetes. Weniger Zucker zu verwenden ist darum ein Ziel vieler Lebensmittelhersteller. „Wenn wir verstehen, warum einige Menschen Süßes weniger stark wahrnehmen, können wir diese Eigenschaft vielleicht berücksichtigen und die Zuckermenge im Essen senken“, führt Reed aus. (Twin Research and Human Genetics, 2015; doi: 10.1017/thg.2015.42)

(Monell Chemical Senses Center, 21.07.2015 – AKR)

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