Archäologie

Kannibalismus bei fataler Arktis-Expedition

Knochen von Männern der Franklin-Expedition zeigen Kochspuren

Gräber einiger Mitglieder der Frabnklin-Expedition auf der Beechey Insel in der kanadischen Arktis. © Ansgar Walk / CC-by-sa 2.5

Gruselige Funde: Die letzten lebenden Mitglieder der 1845 gestarteten Franklin-Expedition wurden aus Verzweiflung zu Kannibalen. Sie verzehrten nicht nur das Fleisch ihrer toten Kameraden, wie Schnittspuren an Knochen belegen. Sie kochten deren Knochen sogar und zerschlugen sie, um an das Mark im Inneren zu kommen. Das zeigen Analysen einiger in der kanadischen Arktis gefundenen Überreste der Männer.

Als der britische Polarforscher und Offizier John Franklin im Jahr 1845 mit zwei Schiffen in die Arktis aufbrach, hatte er ein ehrgeiziges Ziel: Er wollte der erste sein, der die sagenumwobene Nordwestpassage durchsegelte. Doch Franklins Expedition endete in einer Katastrophe: Die Schiffe steckten im Eis fest, Franklin und 128 Mann Besatzung kamen um, als sie über das Eis zurück in die Zivilisation gelangen wollten. Eines der Schiffe, das Wrack der HMS Erebus, wurde erst im Herbst 2014 entdeckt.

Gerüchte über kannibalische Fremde

Bei den Inuit der kanadischen Arktis erzählt man sich noch heute von einer Gruppe von Männern, die damals über das Eis nach Süden zogen und verhungerten und erfroren. In diesen Überlieferungen gab es auch Berichte von Kannibalismus unter den letzten Überlebenden der Franklin-Expedition. Ob jedoch an diesen Geschichten etwas Wahres dran war und wie weit die Verzweiflung die Männer damals wirklich trieb, ließ sich kaum feststellen – bis jetzt.

Das versunkenen Wrack der HMS Erebus wurde 2014 gefunden © Parks Canada

Der Archäologe Simon Mays von der Regierungsorganisation Historic England und der Anthropologe Owen Beattie von der University of Alberta haben den Fall wieder aufgerollt. Sie analysierten 35 Knochen, die in den 1980er in Booth Point und Erebus Bay gefunden wurden und höchstwahrscheinlich von Männern der Franklin Expedition stammen.

Messerspuren und herausgesaugtes Mark

Das Ergebnis: „Unsere Studie trägt zu den Beweisen für Kannibalismus in der letzten Phase der Franklin Expedition bei“, so die Forscher. Denn schon frühere Untersuchungen hatten Schnittspuren an einem Viertel der insgesamt 418 Knochen von Mitgliedern der Mannschaft gezeigt. „Dies spricht dafür, dass das Fleisch von den Knochen der Leichen geschnitten wurde und ihre Körper zerteilt wurden“, berichten Mays und Beattie.

Einige der 1854 gefundenen Relikte der Franklin-Expedition, damals veröffentlicht in den Illustrated London News © historisch

Ihre neuen Analysen enthüllen nun, wie wie weit der Kannibalismus ging: Die verzweifelten Männer haben damals offenbar sogar noch die abgenagten Knochen ihrer Kameraden gekocht und dann zerschlagen, um an das Knochenmark heranzukommen. Darauf deuten gezielte Brüche der markhaltigen Knochen hin sowie abgescheuerte Enden der langen Beinknochen, wie sie entstehen, wenn diese in einem Topf gekocht werden und an der Topfwand scheuern.

„Wenn unsere Interpretation korrekt ist, dann ist dies der erste osteologische Beweis für einen extremen Kannibalismus bei den Mitgliedern dieser Expedition“, sagen die Forscher. Die letzten Überlebenden aßen aus Verzweiflung nicht nur das Fleisch ihrer gestorbenen Kameraden, sie saugten ihnen sogar das Mark aus den Knochen. Geholfen hat ihnen dies allerdings nicht – alle Mitglieder der Expedition starben.(International Journal of Osteoarcheology, 2015; doi: 10.1002/oa.2479)

(Journal of Osteoarcheology, 27.07.2015 – NPO)

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