Brutaler Überfall: In Hessen haben Forscher die Relikte eines grausamen Massakers vor rund 7.000 Jahren entdeckt. In einem Massengrab lagen achtlos durcheinander die eingeschlagenen Schädel und systematisch zertrümmerten Beinknochen von 26 Menschen. Zusammen mit zwei früheren Funden solcher Massengräber zeugt dies davon, dass brutale Massaker, Folter und die Vernichtung ganzer Clans in dieser Periode der Jungsteinzeit durchaus üblich waren, konstatieren die Forscher.
Die Jungsteinzeit war in Mitteleuropa eine Zeit tiefgreifender Umbrüche: Statt wie früher als Jäger und Sammler zu leben, begannen die Menschen nun, Vieh zu halten und Feldfrüchte anzubauen. Die ersten Bauern waren dabei Einwanderer, die neben der Landwirtschaft auch neue Sitten und Kulturtechniken mitbrachten. Durch ihren Einfluss entwickelte sich um 5600 vor Christus die Kultur der sogenannten Linearbandkeramiker.
Typischerweise begruben diese frühen Bauern ihre Toten mit allen Ehren: Sie legten Gräber an, in denen die Toten meist auf der Seite liegend bestattet wurden, oft sogar inmitten ihrer Siedlungen. Bei den Toten finden sich oft Grabbeigaben, meist in Form von Tongefäßen, Muschelschalen-Ornamente und Steinwerkzeugen. „Dies zeugt von Sorgfalt und Absicht beim Umgang mit den Toten“, sagen Christian Meyer von der Universität Mainz und seine Kollegen.
Rätselhafte Massengräber
Doch es gibt rätselhafte Ausnahmen: Forscher haben sowohl in Deutschland als auch in Österreich Orte entdeckt, die eher Massengräbern gleichen. Dort liegen Tote wahllos durcheinander, oft mit zertrümmerten Knochen. Während diese Gräber auf Krieg oder zumindest gewaltsame Konflikte hindeuten, ließen sich die Todesursachen und der Hergang der Ereignisse an diesen Fundstätten nicht immer eindeutig bestimmen.
Jetzt haben Meyer und seine Kollegen ein weiteres Massengrab aus dem Neolithikum gefunden, das neue Einblicke in diese turbulente Ära liefert. Arbeiter hatten die prähistorischen Knochen bereits 2006 durch Zufall bei Straßenbauarbeiten im hessischen Schöneck-Kilianstädten entdeckt. Wie die Forscher nun berichten, stammen die Relikte von 26 Toten, die alle etwa um 5000 vor Christus starben – und damit gegen Ende der Ära der Linearbandkeramiker.
„Botschaft von Hass und Verachtung“
Das Auffallende an den Knochen: Fast alle Schädel zeigen schwere Verletzungen im Schläfen- oder Hinterkopfbereich. „Der höchste Anteil der beschädigten Knochen fand sich an der linken Schläfe, einem klassischen Ort für Schläge, die beim Kampf von Angesicht zu Angesicht ausgeteilt werden“, berichten die Forscher. Auch Spuren von Pfeilverletzungen sind an einigen Skelettfragmenten zu erkennen.
Sehr ungewöhnlich und für dieses Massengrab einzigartig ist ein weiteres Zeugnis der Gewalt: Fast alle Beinknochen der Toten wurden gezielt zerschlagen. „Ob die noch lebenden Opfer gefoltert wurden oder ob ihre Leichen systematisch verstümmelt wurden, lässt sich nicht feststellen“, sagen Meyer und seine Kollegen. „Aber beides vermittelt die Botschaft von Hass und Verachtung in einer sehr demonstrativen Form.“
Eine ganze Siedlung wurde ausgelöscht
Die damals an diesem Ort lebende Gemeinschaft muss das Ziel eines tödlichen Angriffs gewesen sein, der die gesamte Siedlung auslöschte. Allerdings wurden dabei offenbar nicht alle Bewohner getötet: Unter den Toten finden sich fast nur erwachsene Männer und kleinere Kinder. Das älteste ist dabei acht Jahre alt, das jüngste nur wenige Monate, wie die Forscher feststellten. Jugendliche zwischen neun und 15 Jahren und junge Frauen fehlen völlig.
„Die signifikante Abwesenheit junger Frauen im Kilianstädten Massengrab deutet darauf hin, dass diese von den Angreifern gefangen genommen wurden“, so Meyer und seine Kollegen.“ Frauen im gebärfähigen Alter waren offenbar damals schon eine willkommene Kriegsbeute. Auch die Jugendlichen könnten lebend verschleppt worden sei, um sie im Dorf der Angreifer aufzuziehen und so zu Mitgliedern von deren Gemeinschaft zu machen.
„Wahllose, tödliche Gewalt“
„Nimmt man alle Belege zusammen, dann ist das Massengrab von Kilianstädten ein klares Beispiel für ein Massaker der Linearbandkeramiker“, konstatieren die Forscher. „Die osteoarchäologischen Belege sprechen für wahllose, tödliche Gewalt, Folter und Verstümmelung und der anschließenden Deposition der Leichen in einem ungeordneten, chaotischen Massengrab.“
Zusammen mit den bereits bekannten Massengräbern spricht dies nach Ansicht der Forscher dafür, dass solche Massaker gegen Ende der Linearbandkeramik-Ära wiederholt vorkamen. Auch wenn die jeweiligen Auslöser möglicherweise verschieden waren, sei das Muster extremer Gewalt und die atypische Behandlung der Toten sehr ähnlich. „Massaker scheinen die machtvollste Strategie in der prähistorischen Kriegsführung gewesen zu sein“, so Meyer und seine Kollegen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 23015; doi: 10.1073/pnas.1504365112)
(PNAS, 18.08.2015 – NPO)