Land unter am Mittelmeer? Ein Computermodell zeigt, welche Folgen ein Tsunami in den Erdbebenregionen des Mittelmeeres haben würde. Die Küsten von Sizilien und Kreta sind demnach im Falle eines Seebebens von Überflutungen bedroht. Das Modell soll zukünftig bei der Vorbereitung auf katastrophale Tsunamis nach starken Erdbeben helfen, schreiben die Forscher im Fachjournal „Ocean Science“.
Der Mittelmeerraum ist Erdbebenregion: Vor allem auf Sizilien und den griechischen Inseln bebt der Untergrund häufiger. Ursache ist der langsame Zusammenprall zweier großer tektonischer Platten: Die Afrikanische Platte schiebt sich stetig unter die Eurasische Platte. Im Mittelmeer entsteht dabei ein ganzes Netz von Verwerfungen und Grenzen, die noch nicht vollständig bekannt sind. Klar ist aber, dass es gelegentlich rumpelt – und manchmal kommt es auch zu ausgeprägten Starkbeben.
Regelmäßige Tsunamis im Mittelmeer
Besonders aus dem Pazifik ist bekannt, dass Erdbeben Tsunamis auslösen können, wenn sie am Meeresgrund stattfinden. Doch auch im Mittelmeer sind solche Ereignisse überraschend häufig: Etwa zehn Prozent aller Tsunamis weltweit geschehen dort, und im Schnitt einmal im Jahrhundert entsteht eine besonders große Flutwelle. Der Mittelmeerraum ist dicht besiedelt, und viele große Städte liegen entlang der Küsten. Ein Tsunami muss außerdem nur eine relativ kurze Strecke bis zur Küste zurücklegen. Ein starker Tsunami könnte daher ohne große Vorwarnzeit zu einer Katastrophe führen.
Wissenschaftler um Achilleas Samaras von der Universität im italienischen Bologna haben darum untersucht, wie sich eine solche Flutwelle nach einem Starkbeben in der Region ausbreiten könnte, und wie viel Land sie überschwemmen würde. Dazu erstellten die Forscher ein Computermodell auf Basis von Daten über die Meerestiefe, den Verlauf der Küstenlinien und der Topographie unter Wasser.
Wissenslücken im Tsunamimodell
„Die größte Wissenslücke über Tsunamimodelle besteht darin, was geschieht, wenn Tsunamiwellen Küstennähe erreichen und ins Landesinnere strömen“, erklärt Samaras. Wenn die Wellen das flache Wasser vor der Küste erreichen, türmen sie sich höher auf. Außerdem können sie sie je nach Untergrund auch ihre Richtung ändern – wie genau ist jedoch für die Mittelmeerküsten unbekannt.
Diese Wissenslücke soll das neue Modell schließen. „Wir simulieren die Entstehung eines Tsunamis, indem wir Verschiebungen durch Erdbeben entweder am Meeresgrund oder an der Oberfläche einbauen“, führt Samaras aus. „Das Modell simuliert dann, wie sich diese Störungen – die Tsunamiwellen – ausbreiten, wie sie sich in Küstennähe verändern und wie sie Küsten überfluten.“
Flut nach Erdbeben der Stärke 7
Besondere Aufmerksamkeit schenkten die Forscher den Küsten der Inseln Sizilien und Kreta. Diese gehören zu den tektonisch aktivsten Regionen im Mittelmeer und waren außerdem in der Vergangenheit mehrmals Schauplatz von Tsunamis. An diesen Orten simulierten die Wissenschaftler jeweils ein Erdbeben der Magnitude 7.0 und verfolgten, wie sich die verursachten Wellen im Modell verhielten.
In beiden Fällen überfluteten die entstehenden Tsunamis die Küstenstreifen bis zu einer Höhe von etwa fünf Metern über dem Meeresspiegel. Auf Kreta fiel der angerichtete Schaden dabei größer aus als auf Sizilien: Fast dreieinhalb Quadratkilometer Land lagen dort im Modell unter Wasser, an der sizilianischen Küste waren es etwa 0,6 Quadratkilometer.
Mit einer Größenordnung von 7.0 sind die simulierten Erdbeben bereits alles andere als schwach. Ein ähnlich starkes Beben traf im Jahr 1908 die Region um die sizilianische Stadt Messina. Bei dem anschließenden Tsunami mit über zehn Meter hohen Wellen kamen tausende Menschen zu Tode.
Katastrophen der Vergangenheit nicht wiederholen
Noch weiter zurück in der Vergangenheit gab es bereits deutlich stärkere Beben: Ein ganzer Erdbebenschwarm mit geschätzten Stärken zwischen 8.0 und 8.5 erschütterte die kretische Küste im Jahr 365 und zerstörte praktisch alle antiken Städte auf der Insel. Der resultierende Tsunami überschwemmte Städte in Italien, Griechenland, Ägypten und dem heutigen Libyen. Allein im antiken Alexandria starben historischen Quellen zufolge 5.000 Menschen.
Die Wissenschaftler hoffen, dass sich mit Hilfe ihres Modells solche Katastrophen in Zukunft in Grenzen halten lassen. Zwar können sie die Erdbeben und Tsunamis nicht verhindern, doch die Simulationen könnten bei der Vorbereitung helfen: „Unsere Simulationen könnten Behörden und Politikern helfen, eine umfassende Datenbank von Tsunami-Szenarios im Mittelmeerraum zu erstellen“, sagt Samaras. „In jedem Szenario könnten sie gefährdete Küstenregionen identifizieren und ihre Gegenmaßnahmen entsprechend planen.“ (Ocean Science, 2015; in press)
(European Geosciences Union (EGU), 27.08.2015 – AKR)